Als Führungskraft und Frau als solche wahrgenommen und vor allem ernstgenommen zu werden ist heute selbstverständlich. Tatsächlich? Echt? In einer aufgeklärten, modernen und offenen Gesellschaft sollte man davon ausgehen können. Die Realität beweist das Gegenteil. Nicht nur Männer, auch Frauen, verhandeln auch jetzt noch immer „lieber“ mit Männern, sehen den Mann in der Führungsfunktion. Ist das Gleichberechtigung? Nein. Punkt.
Wir reden hier nicht von klassischen oder „alten“ Industrien, die historisch männlich geprägt waren und es oft noch sind – das würde ohnedies nichts entschuldigen. Wir reden von der Kreativwirtschaft. Von einer Branche, die sich innovativ, emanzipiert und weltoffen gibt und sich Empowerment und Gleichstellung an die Fahnen heftet. Der Diskurs über Chancengleichheit der Geschlechter in der Kreativwirtschaft wird nicht geführt, schon gar nicht die Transformation am Arbeitsmarkt vorangetrieben. Das erregt die Gemüter. Vor allem die von Kira Schinko und Letitia Lehner. In einer Ausstellung an der Kunstuniversität Linz im Rahmen der bestOFF 2023 geben sie in Zusammenarbeit mit Architekt Clemens Bauder dem Thema „Feminisierung der Kreativwirtschaft“ einen Raum zur Diskussion, bei dem es um weit mehr als Gender Pay Gaps geht.
Beim Talk der Erregung am 24. Oktober 2023 an der Kunstuniversität Linz stellten die beiden Unternehmerinnen ihren Gästen die Frage „Wird Design der nächste Frauenberuf?“ Katharina Maun, Mitgründerin und Creative Director der Agentur DODO (Creative Lead #3) und Vorstandsmitglied der CCA, Samia Azzedine, Creative Director Digital bei LOOP, Lukas Fliszar, Gründer sowie CCA-Vorstandsmitglied und Mitglied des Fachausschuss der Fachgruppe Werbung der WKO Wien und Rebecca Wiederstein, Mitgründerin commonground und Diversity Expertin, diskutierten knapp zwei Stunden intensiv darüber.
Nobelpreisträgerin Claudia Goldin, die seit Jahrzehnten (!) auf dem Gebiet „Situation der Frauen am Arbeitsmarkt“ forscht, ist für ihre Arbeit zur Aufdeckung der wichtigsten Ursachen für die geschlechtsspezifischen Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt ausgezeichnet worden. Seit Jahrzehnten sind es noch immer die gleichen Themen, Umstände und Rahmenbedingungen die zu diesen Unterschieden führen. Rebecca Wiederstein bringt ein plakatives Beispiel: 2011 veröffentlichte der Internationale Währungsfonds (IWF) einen unabhängigen Prüfbericht. Die Evaluierung sollte feststellen, weshalb der IWF die Finanzkrise von 2008 nicht eher vorausgesehen hatte. Einer der Gründe: fehlende Diversität. Zitat: „Die Führung versagte […] aufgrund ihrer eigenen Homogenität, die überwiegend aus Männern aus entwickelten Wirtschaftssystemen und mit sehr ähnlichen Ausbildungshintergründen und Lebensläufen bestand.“ Zitat Ende. Das sollte uns zu denken geben. „Das ist mehr als 10 Jahre her. Und noch immer müssen wir für mehr Diversität kämpfen und darüber diskutieren, ob es Ungleichberechtigung überhaupt noch gibt,“ so die Expertin.
„Homogenität ist für Unternehmen ein großes Problem. Sie schwächt uns in der Kreativität und in der Innovationskraft. Die Frage nach dem Warum mehr Diversität notwendig sei, stellt sich nicht, sie ist lächerlich.“
Rebecca Wiederstein
Prekäre Situationen: Das Los der Frauen?
Die Hälfte der selbstständigen Frauen in der Kreativbranche (Freelancerinnen und EPU) erwirtschaften weniger als 50.000 Euro, bei einem von vier Männern liegt der Jahresumsatz bei über 250.000 Euro. Männer sind tendenziell häufiger in der höchsten Gehaltsklasse, Frauen in der niedrigsten (Dienstnehmer:innen und Selbstständige). Hat die Feminisierung der Kreativbranche deshalb negativen Einfluss auf die Umsätze und Gehälter? Einer Studie des Bundeskanzleramts (2021) nach, sind etwas mehr als 2 Mio. Frauen in Österreich erwerbstätig. 91,1 % der Geschäftsführung der 200 umsatzstärksten Unternehmen Österreichs ist männlich. 50% der erwerbstätigen Frauen arbeiten hierzulande in Teilzeit. Um hier irgendeine nachhaltige Veränderung zu bewirken, müssen Hidden Bias und Vorurteile erkannt und überwunden werden. „Der Performance-Bias basiert beispielsweise auf der Annahme von Fähigkeiten von Männern und Frauen. So werden die Leistungen und Kompetenzen von Männern tendenziell überschätzt, jene von Frauen eher unterschätzt, das belegen zahlreiche Studien, soll aber keinesfalls ein Vorwurf an irgendjemanden sein, nur ein Aufruf zur Selbstreflexion und dazu, Veränderung in erster Linie auch bei sich selbst zu beginnen“, so Rebecca Wiederstein.
Manfred, bist du 16 % mehr wert?
Im Vergleich zu Männern verdienen Frauen im Durchschnitt deutlich weniger, beginnen ihre berufliche Laufbahn oft mit niedrigeren Stundensätzen und unterbrechen diese aufgrund von Karenz und Betreuungspflichten häufiger. Dadurch ergibt sich im europäischen Vergleich im Durchschnitt ein Gender Pay Gap von 12,4 %, in Österreich von 18 %, in Oberösterreich sogar von 18.6 % (zum Vergleich: Wien 3 %), in der Kreativbranche liegt er bei 16 %. Samia Azzedine berichtet aus eigener Erfahrung: „Fast alle männlichen Kollegen, die mit mir die Werbeakademie absolviert haben und etwa gleich alt sind wie ich, sind schon einige Jahre Creative Directors. Ich traue mir zu sagen, dass es nicht an mangelnder Kompetenz lag, dass ich erst letztes Jahr mit 37 Jahren CD wurde. Eine Frau in eine Führungsposition zu bestellen darf keine Werbemaßnahme für die Agentur sein. So wie eine Frau allein nicht Diversität bedeutet.“
Diese Ungleichbehandlung in den Aufstiegschancen schlagen sich auch in geringen Verdiensten nieder. Frauen lassen sich schnell abspeisen und verlangen weniger als ihre männliche Kolleg:innen z. B. bei Gehaltsverhandlungen. Katharina Maun zitiert Meryl Streep: „Frauen haben früh gelernt ‚Man‘ zu sprechen. Auch ich habe sehr früh eine männliche Rolle eingenommen und mir meine weiblich assoziierten Eigenschaften, wie Fürsorge und Emotionalität, im Beruf abtrainiert, um in einem männlich dominierten Konkurrenzumfeld bestehen zu können. Ich mag meine weibliche Seite und mag es eigentlich nicht, ‚Mann‘ zu spielen. Dennoch: Frauen müssen fordern und sagen, was sie wert sind.“ Vieles würde sich verbessern, wenn es Transparenz bei den Verdiensten geben würde und Verhandlungen um Gehälter nicht stattfinden würden, weil es einen klaren Rahmen gäbe, da ist sich Rebecca Wiederstein sicher. „Kollektivverträge, den es in Österreich für die Branche nur in Wien gibt, würden diesen Rahmen gewissermaßen ermöglichen, auch wenn er viel zu niedrig angesetzt ist“, so Lukas Fliszar.
Ist der Designblick männlich?
70 % der Jury sagen: Ja! Kein Wunder: 70 % männliche Jurymitglieder, 30 % Frauen beim CCA Award 2023. Auch andere Awards zeichnen ein ähnliches Bild. Die Frage die sich stellt: Warum ist das so? Obwohl der CCA Vorstand auf Frauen sehr aktiv zugegangen ist, konnte keine Gender-Balance in der diesjährigen CCA-Award-Jury erreicht werden. Die Bemühungen werden fortgesetzt. Der Blick auf Design ist also definitiv männlich. Anders sieht das Verhältnis in Ausbildungen aus: 77 % der Grafik-Design & Fotografie-Studierenden an der Kunstuniversität Linz und 79 % jener, die dort Visuelle Kommunikation studieren sind Frauen. Und doch sind es Männer, die bei der Bewertung der Kreativarbeiten als Art Directors, Creative Directors und Geschäftsführer durch die Bank in der Überzahl sind! Der Blick ist männlich, der Nachwuchs weiblich, geht das gut?
Eine Branche in der ethischen Krise?
Lukas Fliszar teilt sich die Betreuung der 8-jährigen Tochter mit der Mutter, von der er getrennt lebt 50/50. Wäre dies anders, wäre es schwierig. „Die klassische „die-Frau-bleibt-zu-Hause-beim-Kind“-Lösung gefolgt von Teilzeitbeschäftigung ist ein konsequentes Hinarbeiten auf die Altersarmut“, zeichnet Lukas Fliszar ein düsteres Bild. Zusätzlich arbeiten viele Frauen als Freelancerinnen, ohne soziale Absicherung. Es fehlt an den großen politischen Lösungen. „Die Kreativbranche erarbeitet Employer-Branding-Kampagnen am laufenden Band, die Menschen motivieren sollen, in den unterschiedlichsten Branchen und Berufen zu arbeiten und es sieht so aus, als hätten wir die eigenen Hausübungen nicht gemacht“, merkt Moderatorin Kira Schinko an. Katharina Maun würde sich wünschen, dass auch die eigene Branche diesbezüglich selbstbewusster wäre. Vor allem deshalb, weil die Jobs in der Kreativbranche äußert sinnstiftend sein können. Sie thematisieren, zeigen das echte Leben und machen es spürbar und erlebbar. Wo, wen nicht in der Kreativbranche können die Akteur:innen so authentisch mitreden, mitgestalten und etwas bewegen. Viele Agenturinhaber:innen und Geschäftsführer:innen wissen das und setzen sich z. B. in Interessensvertretungen dafür ein attraktive und vor allem faire Rahmenbedingungen für alle zu schaffen – damit die Kreativwirtschaft auch für die Jungen wieder attraktiv bleibt. Keine einfache Aufgaben, denn in vielen Agenturen hängt der Lurch der Vergangenheit über dem Führungsstil. Schlecht bezahlte Praktika, Ungleichbehandlung der Geschlechter beim Verdienst, Generationenkonflikte zwischen den männlichen Entscheidern der Boomer-Generation und der Gen-Z, dazwischen die Millennials als Knautschzone – wer will so arbeiten? Und dann auch noch das:
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Echt jetzt???
46,4 % der 34+Jährigen Dienstnehmer:innen (CCA-Umfrage) erlebten sexuelle Belästigung in Agenturen. Mehr als im österreichischen Schnitt. What the f*?! Kira Schinko stellt klar: Arbeitgeber:innen haben per Gesetz eine Fürsorgepflicht! Gesprochen wird über Sexismus am Arbeitsplatz selten, das ist auch in der Kreativbranche nicht anders. Männer sind sich des Problems oft gar nicht bewusst, was Lukas Fliszar bestätigt, der sich im Werberat künftig gegen Sexismus einsetzen wird. Samia Azzedine bekrittelt, dass Sexismus in Agenturen oft heruntergespielt wird und Katharina Maun bricht eine Lanze für die sensibilisierten Männer: „Es gibt genügend Männer, die Awareness haben und für die Sexismus ein No-Go ist. Deshalb meine Bitte an sie: Steht auf und sagt etwas, wenn ihr Unrecht wahrnehmt.“ Zusätzlich fordern die Diskutierenden eine neutrale und vertrauliche interne oder externe Ansprechperson für Mitarbeiter:innen. Es muss insgesamt mehr Bewusstsein für die Problematik geschaffen werden.
Die Kreativbranche ist keine Ausnahmebranche, auch hier regieren noch vielerorts patriarchale Ansichten, obwohl immer mehr Frauen Design studieren und in der Kreativbranche arbeiten. Das hat man sich lange ersehnt und dennoch kommt diese Feminisierung mit einem etwas fahlen Beigeschmack daher. Design darf nicht zum nächsten „Frauenberuf“ werden. Diversität auf allen Ebenen kann ein Schlüsselfaktor dafür sein.
„Die Tatsache einer Feminisierung und ihrer negativen Folgen – wie Prestige- und Einkommensverluste sowie geringere Umsätze – ist leider keine Annahme, sondern Realität in vielen Branchen (Pflege, Elementarpädagogik, usw.) undalles deutet drauf hin, dass das auch unserer passiert.“
Letitia Lehner
Kira Schinko
„Für mich ist es unbegreiflich, dass es 2023 in Österreich noch immer nicht möglich gemacht wird, dass Frauen mit Kind(ern) Führungspositionen einnehmen können. Wie kann man hier täglich vom Fachkräftemangel sprechen und zeitgleich so viel Potenzial liegen lassen? Ich sehe hier vor allem die Agenturen bzw. Betriebe und den Staat in der Verantwortung.“
Die Veranstalterinnen Letitia Lehner und Kira Schinko zeigen sich sehr zufrieden mit der regen Teilnahme und Diskussion beim Talk als auch Ausstellung in Linz (BESToff) und Wien (Vienna Design Week). Besonders die aktuellen Bilder aus Island (Demonstration gegen den Gender Pay Gap und gegen Gewalt an Frauen) motivieren die beiden, in der Zukunft weitere Aktionen für ihre Branche zu setzen. So planen auch die Creative Region und der CCA (Fair Work Charta) bereits die nächsten Maßnahmen.
Mit freundlicher Unterstützung der Kunstuniversität Linz.
Links Studien/Umfragen:
CCA: https://creativclub.at/news/cca-fair-work-umfrage-die-ergebnisse/
designaustria: https://www.designaustria.at/publikation/frauen-zaehlen/
Disclaimer: Wir möchten darauf hinweisen, dass die in der Ausstellung, dem Talk und folglich auch dem Nachbericht präsentierten Daten und Aussagen eine starke binäre Geschlechtertrennung (Mann/Frau) aufweisen. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass Geschlecht eine komplexe und vielfältige Identität ist, die nicht in nur zwei Kategorien eingeteilt werden kann. So stellen die hier dargestellten Verhältnisse aufgrund der noch schlechten Datenlage eine Vereinfachung dar.
Ausstellung und Talk von:
Kira Saskia Schinko berät seit 15 Jahren Marken und Menschen in ihrer internen und externen Kommunikation. Da beim Essen, beim Fußball und in der „Werbung“ hierzulande bekanntlich alle mitreden, differenziert sie gerne mal öffentlichkeitswirksam zwischen Meinung und Ahnung. Acht Jahre lang war sie als Mitgründerin und Geschäftsführerin des Designstudios OrtnerSchinko tätig und hat viele kreativwirtschaftliche Unternehmen in ihrer Entwicklung unterstützt. Aktuell arbeitet sie als selbstständige Beraterin, Moderatorin und Lektorin (FH). Im Landeskulturbeirat OÖ vertritt sie die Themen und Agenden für Design.
kiraschinko.com
Letitia Lehner. Geboren und aufgewachsen im Namibia der 80er, ausgebildet in Österreich und vor ihrer Selbständigkeit einige Jahre in Glasgow tätig. Seit 2011 gibt sie als Mitgründerin von MOOI DESIGN Identitäten Raum und Räumen Identität. Sie selbst, ihre Projekte und ihre Designsprache haben Haltung und Mut. Ihr Stil als Art Direktorin entsteht in der intensiven Auseinandersetzung mit dem Projekt, den Kund:innen und der Gesellschaft. Ab und an braucht es dazu intensive Gespräche und Diskussion – wegen Mut, Haltung und Expertise wäre es.
mooi-design.com
Clemens Bauder – Studio Clemens Bauder, Architekt
clemensbauder.net