Teil der Projekte COCO4CCI , Creative Coffee Breaks
Mit Leidenschaft am Gestalten
Mehr als nur Dächer über den Köpfen entwerfen die beiden Architekten Sandra Gnigler und Gunar Wilhelm in ihrem Architekturbüro mia2 in Linz. Begonnen haben die leidenschaftlichen GestalterInnen mit Kunst am Bau und kleinen Ausstellungsdesigns, heute verantworten sie große Projekte privater und öffentlicher AuftraggeberInnen. Bei den Open Studios 2017 haben uns die beiden bereits Einblicke in ihren Arbeitsalltag und ihre Projekte gewährt. Bei einer Creative Coffee Break haben sie uns unlängst verraten, wie die Gratwanderung zwischen Funktionalität und Design erfolgreich gemeistert werden kann. Und dass Architektur manchmal schwierig sein kann, weil sie so langwierig – aber keineswegs langweilig – ist.
Creative Coffee Break #8 mit Sandra Gnigler und Gunar Wilhelm zum Nachlesen
CREATIVE REGION: Was macht mia2/ARCHITEKTUR?
Sandra Gnigler: mia2 ist ein Architekturbüro. Klassische Hochbauplanungen könnte man sagen, aber mit einem sehr breiten Spektrum. Gestartet haben wir eher mit kleinen Aufgaben, Kunst am Bau und Ausstellungsarchitekturen und von diesen kleinen Aufgaben sind wir immer mehr in die großen hineingewachsen, Einfamilienhäuser und private Aufträge. Und jetzt sind wir bereits so gut gefestigt, dass wir kommunale Aufträge annehmen, genauso wie große Projekte. Das größte Projekt ist jetzt ein Wohnbauprojekt mit 150 Wohnungen und mit einer Geschäftszone im Sockelgeschoß, die im Prinzip ein ganzes Stadtteilzentrum bilden soll, wenn es fertig ist. [lacht]
CREATIVE REGION: Was ist das Herausforderndste und Spannendste an eurem Beruf?
Gunar Wilhelm: Ja, das Spannende und Herausfordernde… Fangen wir mit dem Spannenden an: Das Spannende ist die Vielfalt, die unser Beruf bringt. Das Schöne ist, dass wir Einblicke und Auseinandersetzungen, sowohl in soziale Aspekte, genauso wie in gestalterische Aspekte gewinnen können. Und so hat man eine sehr große Vielfalt. Ganz gleich, ob es die Auseinandersetzung mit der Materie an sich ist oder die Funktionen und die gesellschaftlichen Abläufe, die in den Gebäuden passieren werden.
CREATIVE REGION: Welche Prozessphasen durchläuft ein typisches Projekt bei euch?
Gunar Wilhelm: Also die Phasen sind so: Beim ersten Gespräch geht es darum, herauszufinden was den Bauherren bewegt und welche Wünsche er hat. Weil das Wesentliche für ein spannendes Ergebnis ist, dass der Bauherr seine Färbung miteinbringt. Also wir versuchen, dass jedes Projekt immer wieder eine individuelle Note bekommt. Und das bekommt man meistens dadurch, dass es ortsspezifisch ist. Oder dass ein Bauherr spezielle Wünsche hat. Wie auch immer. Und deswegen ist uns der Start schon sehr wichtig. Es ist ja bekannt, dass bei einem Projekt in der Anfangsphase das Spektrum der Möglichkeiten sehr weit ist und dann wird es natürlich immer enger. Darum sind uns die Phasen sehr wichtig, dass man entsprechend dieser Phasen, die wichtigen Entscheidungen gemeinsam trifft.
CREATIVE REGION: Wie lassen sich Funktionalität und Design in der Praxis verbinden?
Gunar Wilhelm: Ich glaube, dass das Wesentliche ist, dass es von den Aufgaben abhängt. Es gibt Aufgaben bei denen das Design und die Gestaltung im Vordergrund stehen, beispielsweise Ausstellungen oder sehr oft auch Innenraumdesigns. Weil es dort stark darum geht, was man dem Betrachter in Punkto Erlebnis oder in Punkto Reflexion mitgeben kann, je nachdem was man in ihm bewegen möchte. Dort ist natürlich die gestalterische Ebene bedeutend wichtiger. Und den anderen Pol würde vielleicht der soziale Wohnbau darstellen, wo eigentlich der funktionale Ablauf ein sehr enges Korsett bildet und sich die gestalterische Ebene sehr stark nur auf Oberflächen und Materialien usw. beschränkt. Aber auch dort ist man eingeschränkt, weil der budgetäre Aspekt die Grenze setzt. Dazwischen ist dann das spannende Feld, in dem wir versuchen ein Maximum an Gestaltung zu erzeugen, ohne die Funktion einzuschränken. Das ist auch ein wichtiger Aspekt.
Sandra Gnigler: Im Arbeitsprozess kann man sagen, es wird zuerst ganz stark auf die Funktion fokussiert. Was brauche ich? Was muss ich erfüllen? Was sind die Rahmenbedingungen? Und dann, wenn man das alles im Überblick hat und auch weiß, wie man es in der Umsetzung realisieren kann, dann kommt natürlich auch das Bedürfnis, es so zu gestalten, dass es angemessen ist. Es geht auch oft um die Angemessenheit. Weil „gestalten“ kann ja ausarten, bis hoch hinaus. Es ist immer eine Frage von Auftraggeber, Projektansatz, etc. Die ganze Summe der Dinge entscheidet, was angemessen ist.
CREATIVE REGION: Welche Stadt ist architektonisch einen Besuch wert und warum?
Sandra Gnigler: Natürlich… Also Kopenhagen ist rein von der Architekturseite her, sehr, sehr sehenswert. Nicht nur, weil dort irrsinnig viel Großartiges gebaut wird. Wenn man es jetzt zum Beispiel auf den Wohnbau bezieht, wird dort Wohnqualität geschaffen, von der wir hier in Oberösterreich weit entfernt sind. In der Breite gesehen, nicht punktuell. Auch die Art von Verkehrsplanung und wie die Stadt benutzt wird ist so vorbildhaft, da können wir noch viel lernen. Wenn man dort hinfährt, sollte man das alles wirken lassen und vielleicht ein bisschen davon mitnehmen nach Linz. Das würde uns guttun hier.
Gunar Wilhelm: Natürlich sind Altstädte schön und spannend zum Anschauen, aber uns interessiert dann trotzdem meistens, wenn wir in Städte kommen, wie werden neue Stadtteile gebaut und was sind dort die Parameter, warum das irgendwo gelingt. Deswegen sind Kopenhagen und die holländischen Städte sehr spannend, weil die grundgeistige Einstellung in diesen Ländern offenbar irgendwie offener ist und aus dem heraus mehr möglich ist. Das ist es, glaube ich, was es ausmacht. Auch wenn man sich nicht mit Städtebau und Architektur auseinandersetzt, spürt man das trotzdem im ganzen Ambiente.
CREATIVE REGION: Wie steht ihr zu den Themen Stadtentwicklung, Gentrifizierung, Kurzzeitmieten und Airbnb?
Gunar Wilhelm: Im Prinzip sind wir sind nicht ganz unbeteiligt, da wir eine eigene Wohnung als Airbnb-Vermietung haben. Ja, wie sehen wir das? Das ist ganz witzig, weil wir das heute schon mit jemand anderem besprochen haben. Als Airbnb-Kunde genießen wir es eigentlich sehr, weil man Einblicke hat in Wohnsituationen, in Wohnungen, usw.
Sandra Gnigler: Also, wenn wir reisen, reisen wir Airbnb.
Gunar Wilhelm: Sehr gern. Nicht immer, aber oft. Irgendwie ist das immer spannender als einfach in einem Hotel, wo man das ganze fertige Paket bekommt. Im Vergleich zum „Wohnen“, wo man ein spannendes Café fürs Frühstück sucht und eine andere Option fürs Mittagessen. Andererseits ist uns dennoch bewusst, wenn man den wertvollen Wohnraum, vor allem den kostenattraktiven Wohnraum, in den Zentren für diese Dinge verwendet, bringt das eine Problematik mit sich. Ich glaube aber, dass man das nicht Schwarz-Weiß-Malen kann, sondern, dass da beide Facetten ihre Berechtigung haben. Und letztendlich ist auch eine Airbnb-Nutzung eine Nutzungsdurchmischung, ein Teil der plötzlich als Puzzlestück, z. B. in eine Wohngegend hineingesetzt wird. Und unter diesem Aspekt finden wir es eigentlich spannend.
Sandra Gnigler: Und man muss natürlich auch sagen: Das Ganze ist kritisch zu beäugen. So wie es Gunar gesagt hat, werden gerade in den sehr beliebten Zentren die Wohnung zu hohen Preise in Kurzzeitmieten verbucht. Es ist aber trotzdem auch ein Spiegel, dass die Nachfrage nach diesen individuellen, kleinen Unterkünften in einer sehr großen Streuung da ist. Das ist für die restliche Wirtschaft und für das System auch womöglich der notwendige Anlass sich zu überlegen: Was ist rundherum nicht so ideal? Bzw. warum zieht die Nachfrage in diese Richtung ab?
CREATIVE REGION: Mit welchen Baustoffen und Materialien arbeitet ihr aktuell am liebsten?
Gunar Wilhelm: Da sei vielleicht gesagt, dass wir beim Material ganz gern mit dem Material arbeiten, mit dem wir auch bauen. Was baulich die Substanz ist, die tragenden Teile sind etc. versuchen wir auch zu zeigen. Wir versuchen zu vermeiden, dass man mit dem einen Material baut und etwas anderes darüberlegt. Wenn ich jetzt beispielsweise das Haus aus Holz errichte, dann soll das Material an der Fassade oder im Innenraum sichtbar werden. Oder auch wenn es Beton ist, was manche dann als hart empfinden. Das macht es spannend, das zu zeigen.
Sandra Gnigler: Es gibt in dem Sinn kein Lieblingsmaterial, aber es ist dieser ehrliche Umgang damit. Das ist uns ein Anliegen. Was da schon mitschwingt ist, dass es bis zu einem gewissen Grad, soweit es sich erfüllen lässt, ökologische Baustoffe sind. Wir sind nicht glücklich, wenn wir Häuser mit Vollwärmeschutz, also mit Plastik, vollkleben oder Kunststofffenster einbauen. Das ist für uns nicht besonders erquickend. Lasst sich aber manchmal nicht vermeiden, weil beim geförderten Wohnbau kostenmäßig nur Kunststofffenster gehen.
CREATIVE REGION: Was kann man von dir in nächster Zeit Neues sehen?
Sandra Gnigler: Was wird den fertig in nächster Zeit?
Gunar Wilhelm: Ja, fertig wird…
Sandra Gnigler: Das ist das Schwierige bei der Architektur, sie ist so langwierig. Bis das, was man als erste Skizze auf Papier hatte, tatsächlich fertig realisiert uns gegenüber steht, vergehen oft Jahre. Jetzt gerade in Bau ist das Stadtteilzentrum in Linz/Oed. Das wird aber auch erst 2020 fertig. Das sind so extreme Dimensionen. [lacht] Die nächsten Projekte sind zwei Einfamilienhäuser, die finalisiert werden oder grad vor dem Finale stehen.
Gunar Wilhelm: Der Hort Hauderweg.
Sandra Gnigler: Ja, genau. Ein Hort mit zusätzlich zwei Kindergartengruppen in Linz/Ebelsberg wird Ende nächsten Jahres fertig, der ist also in Bau – gerade begonnen. Was ist noch?
Gunar Wilhelm: Ich glaube, das trifft es gut. Das Museum Wilhering wird Mitte des nächsten Jahres fertig werden. Das ist auch noch spannend, als nicht klassisches Hochbauprojekt im Ausstellungssektor.
CREATIVE REGION: Mit wem sollten wir unbedingt demnächst eine Creative Coffee Break machen?
Sandra Gnigler: Mit allen Jungen! [lacht]
Gunar Wilhelm: Ich würde auch alle Jungen empfehlen, klar natürlich. Da müssen wir uns solidarisieren. Also mir fallen ein: Bogenfeld Architekten.
Sandra Gnigler: MOSER und HAGER Architekten.
Gunar Wilhelm: Die WAAX Architekten.
Sandra Gnigler: Urmann Radler Architekten, Gerald Anton Steiner… Wir zählen jetzt alle auf. [lacht]
Gunar Wilhelm: Da müssen wir aufpassen, wenn wir sagen: Alle. [lacht]
Sandra Gnigler: Nicht, dass wir jemanden vergessen. [lacht] Dann: Hammerschmid, Pachl, Seebachler Architekten
Gunar Wilhelm: Die sind in Gramastetten, die haben sicher auch interessante Statements und Projekte. Das ist dann das Spannende. In Wirklichkeit sind es dann wenige, die aktiv sind. Die sind dann auch alle durchwegs super in der Qualität.
Sandra Gnigler: Und nett zum Kennenlernen.
Über die Creative Coffee Breaks
In regelmäßigen Abständen macht sich das Team der CREATIVE REGION Linz & Upper Austria auf, um junge Start-ups und in der Kreativwirtschaft Tätige aus Linz und Oberösterreich bei einer Tasse Kaffee vor die Kamera zu bitten. Alle bisherigen Videos findest du auf YouTube: CREATIVE COFFEE BREAKS
Collaboration Collider for Cultural and Creative Industries
Dieses Interview ist Teil des Projekts COCO4CCI, das sich die Vernetzung zwischen der Kultur- und Kreativwirtschaft (CCI) und produzierenden Unternehmen zum Ziel gesetzt hat. Gemeinsam mit dem Möbel- und Holzbaucluster der Business Upper Austria legen wir den Fokus in Oberösterreich dabei auf das Thema „advanced architecture“, um Innovationen voranzutreiben und Kooperationen zu fördern. COCO4CCI wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert.
COCO4CCI, kurz für “Collaboration Collider for Cultural and Creative Industries”, vernetzt länderübergreifend Kultur- und Kreativwirtschaft (CCI) und produzierende Unternehmen. Gemeinsam mit dem Möbel- und Holzbau-Cluster der Business Upper Austria legen wir den Fokus in Oberösterreich dabei auf das Thema „advanced architecture“, um Innovationen voranzutreiben und Kooperationen zu fördern.
COCO4CCI wird mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert.
Webseite des Projekts: https://www.interreg-central.eu/COCO4CCI