Teil des Projektes Re-FREAM
Co-Creation zwischen Artists und TechnologInnen ermöglicht neue Perspektiven für die Textilindustrie
Modedesignerin Ganit Goldstein, Architektin Julia Körner, Designer Michael Wieser und Interactive Media Artist Viktor Weichselbaumer von Yokai Studios haben in Co-Research und Co-Creation in den letzten Monaten mit einem internationalen Team von Hightech ExpertInnen an neuen Möglichkeiten für die Modeindustrie geforscht.
Die Textilindustrie und ihre Verfahren neu zu denken – das steht ganz oben auf ihrer Agenda. Ein weiteres verbindendes Element ist dabei das Stichwort Urban Manufacturing, bei dem neue Technologien dazu genutzt werden, die ressourcenintensive und umweltschädigende Produktion von Textilien aus Übersee wieder in unmittelbare Nähe des Konsumenten zu holen: Fashion on demand, sozusagen. Technisch relevant sind hier für die Teams vor allem additive Verfahren wie 3D-Druck-Technologien.
Woran die Teams genau arbeiten und wie der Co-Creation Prozess hier ganz neue Möglichkeiten eröffnet, das erzählen uns Michael Wieser, Viktor Weichselbaumer und Julia Kastner, Lead Tech bei Profactor, im ersten von drei Interviews.
Neue Welten: Re-FREAM Artists und TechnologInnen im Gespräch
Ihr arbeitet jetzt seit einem Jahr an visionären Ideen für die Mode der Zukunft im Bereich Additive Manufacturing. Woran forscht ihr hier konkret und wie werdet ihr dadurch die Modeindustrie verändern?
Michael Wieser & Viktor Weichselbaumer / YOKAI STUDIOS:
Bei Yokai Studios befassen wir uns mit der Entwicklung einer Schnittstelle zwischen den sich gerade etablierenden virtuellen Designmethoden wie z.B. 3D-Scanning und den hierfür zu adaptierenden Produktionsmethoden. Unsere Vision: Ein One-Stop-Shop-Roboter, der vom 3D-Scan bis hin zum 3D- Schnittentwurf und folglich auch das 3D-gedruckte Textilprodukt fertigt. Es ist uns dabei ein großes Anliegen, die Textilproduktion wieder nach Europa zurückholen zu können. Ein solcher Ansatz ermöglicht auch eine starke Individualisierung der Produkte und eine Fertigung abseits von Fast Fashion und Massenware. Gleichzeitig liefern solche neuen Verfahren auch eine komplett neue, spannende Ästhetik. Diese ergibt sich einerseits dadurch, dass Schnitte nicht mehr plan gezeichnet sondern in 3D-Programmen erstellt werden. Weiterführend ergibt sich dadurch ein ressourcenschonendes Erstellen des Kleidungsstückes: Der Roboter lasert materialschonend die 3D Vorlage aus dem planen Textil und schweißt anschließend – anstatt sie zu nähen – die Kanten zusammen, sodass das dreidimensionale Objekt, exakt dem Scan entsprechend, entsteht. Das bedeutet, dass die klassische „NäherInnen-Arbeit“ weg fällt, die oftmals günstigst in ferne Länder ausgelagert wird.
Julia Kastner / PROFACTOR:
Durch unsere Erfahrung mit Drucktechnologien und Bildverarbeitung direkt am Roboter können wir die visionären Ideen von Yokai im individuellen Maßstab unterstützen – gleichzeitig vertiefen wir unsere eigenen Kenntnisse und entwickeln sie auch entsprechend weiter. Konkret haben wir mit Michael und Viktor verschiedene Drucktechnologien für bestimmte Anwendungen in der Kleidungsproduktion getestet und entwickeln zur Zeit eine umsetzbare Laserdistanzmessung und Stoffkanten-Erkennung für den Druck-Roboter des Yokai-Teams, um den Roboter besser um 3D Objekte führen zu können und er somit auf individuelle Stoffteile besser reagieren kann.
CREATIVE REGION: Stichwort Co-Creation: Wie könnt ihr besonders von euren jeweiligen Expertisen profitieren? Was waren Highlights eurer Zusammenarbeit in den letzten Monaten?
Michael & Viktor:
Da sich unser Projekt stark im technischen Bereich der Maschinenentwicklung bewegt, helfen uns die TechnologInnen von Haratech und Profactor enorm weiter. Ein Highlight war bestimmt das gemeinsame Erarbeiten der besten Methode für die Entwicklung einer neuen Art von Nahtverbindung mit dem Industrieroboter. Dabei haben wir verschiedene Ansätze ausprobiert und zum Schluss dann bei EMPA in der Schweiz mit professionellen Tests miteinander verglichen. Somit konnten wir am Ende durch eine Auswertung der Daten die am besten funktionierende Methode herausfiltern dies wissenschaftlich begründen. Die resultierenden Schweißnähte haben dabei sehr gut abgeschnitten und lassen hoffen, dass unsere Herangehensweise relevant für die Industrie ist.
Julia:
Es ist spannend und sehr förderlich für uns, unsere Technolgien in komplett neuen Anwendungen zu testen und weiterzuentwickeln. Wir sind von den kreativen Designs und Anwendungsideen beeindruckt: Genau diese “Out-of-the-box”-Ansätze und Gedanken fordern uns heraus, unsere Maschinen für künftige AnwenderInnen und auch für andere Branchen ständig zu optimieren.
Könntet ihr kurz euren Fachbereich erklären und wie dieser in der Textilindustrie zum Einsatz kommt?
Michael:
Ich bin bei Yokai Studios zuständig für Design & Produktentwicklung. Ich bin ausgebildeter Seilbahntechniker mit einem BA-Abschluss in Fashion & Technology an der Kunstuniversität Linz. Durch meine Arbeit für Unternehmen wie Puma S.E. und für kleine Labels wie Atacac, das eine Mikrofabrik mit eigener Produktion in Göteborg betreibt, kenne ich die Modebranche und habe ein starkes Netzwerk an Fachleuten in ganz Europa und weltweit aufgebaut. Als einer der beiden Gründer der Yokai Studios habe ich die Vision der Firma mitgestaltet und bin verantwortlich für Design, Schnittkonstruktion und die Implementierung von moderelevantem Fachwissen in die Maschinenentwicklung.
Viktor:
Bei Yokai Studios liegt mein Aufgabenbereich in der Robotik & Softwareentwicklung. Ausgebildet bin ich in Elektronik und habe einen einen Bachelor in zeitbasierter und interaktiver Medienkunst (Kunstuniversität Linz). Ich bin mit verschiedenen 3D-Softwares vertraut und habe sowohl VR- als auch AR-Installationen entwickelt. Als Mitbegründer von Yokai Studios arbeite ich hauptsächlich an der Implementierung von Hardware und Software für den Einsatz mit KUKA Robotern. Die Entwicklung des Yokai Studios Printing Systems, das finale Rendering und die Simulation von Kleidungsstücken für Videoinhalte, das Filmen und Schneiden sind Teil meiner Arbeit.
Julia:
Ich habe Chemie an der Johannes Kepler Universität in Linz studiert und bei Profactor meine Doktorarbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin verfasst. Mein Themenschwerpunkt ist die Beforschung funktioneller Oberflächen und Nanostrukturen mit Schwerpunkt Inkjet Printing. Es ist spannend und sehr förderlich für Profactor, unsere Technolgien in komplett neuen Anwendungen zu testen und weiterzuentwickeln. Unsere beiden Schwerpunkte, Industrielle Assistenzsysteme und die additive Mikro- und Nano-Fertigung sowie die fächerübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht intelligente Lösungen für die produzierende Industrie der Gegenwart und Zukunft.
Welchen Impact hat die Coronakrise auf euer Re-FREAM Projekt?
Michael & Viktor:
Wir bei Yokai Studios taten uns anfangs sehr schwer mit der Situation, da alles so ungewiss schien und wir über zwei Monate keinen Zugang zu unseren Arbeitsmaterialien, Werkzeugen und vor allem zu unserem Industrieroboter hatten. Wir haben dann aber bald erkannt, dass die Krise tatsächlich große Chancen für unser Projekt bietet: durch Urban Manufacturing ermöglicht lokale Produktion, und das ist ein klares Asset. So waren eine Zeit lang beispielsweise Schutzmasken schwer bis gar nicht zu bekommen, da diese in China oder anderen weit entfernten Ländern produziert werden. Wir haben kurzerhand ein Konzept ausgearbeitet, wie wir mit unserer Robotik-Methode Schutzmasken schnell, kostengünstig, lokal und on-demand herstellen können; in weiterer Folge mit der Möglichkeit auf Individualisierung und Passformoptimierung.
Maskenerstellung mittels kreativer Robotik. Credit: Jürgen Grünwald
CREATIVE REGION: Warum würdet ihr anderen Artists definitiv empfehlen, sich für Re-FREAM zu bewerben?
Michael & Victor:
Es ist eine tolle Möglichkeit ein internationales Netzwerk aufzubauen und sich Expertise, die sonst sehr viel Geld kostet, durch Co-Creation ins Boot zu holen.
Julia:
Wir hoffen auf noch mehr kreative Ideen und fruchtbare Zusammenarbeit Weiterentwicklung auf beiden Seiten. Wir hoffen, daraus für die Zukunft lernen zu können, sodass sich Kreativ-Branche und Technik-Branche besser ergänzen und gemeinsam Produktionsprozesse verändern und optimieren können.
Über Re-FREAM
Michael Wieser und Viktor Weichselbaumer erhalten im Rahmen ihres Re-FREAM Projekts bis zu 55.000 Euro Unterstützung sowie technischen Support für die Umsetzung ihrer Projektidee. Re-FREAM ist ein Projekt im Rahmen des EU Horizon 2020 Programms und gehört zur STARTS Familie. Das Team besteht aus einem internationalen Partnerkonsortium aus den Bereichen Creative / Fashion, Technologie, Industrie und Science.
Du willst die Mode- und Textilindustrie neu denken? Perfekt!
Aktuell sind wir wieder auf der Suche nach Artists für den zweiten Call – HIER geht’s zur Ausschreibung!
Re-think fashion! „Re-FREAM“ ist ein Begriff aus den USA der 50er Jahre. Er beschreibt Menschen, die aus der Norm fallen; all jene, die Dinge anders machen. Unter dem Motto „rethink fashion“ arbeitet das internationale Re-FREAM Team mit genau solchen Menschen: Artists, Designer*innen und Technolog*innen aus ganz Europa denken in Co-Creation die Modeindustrie neu.
Re-FREAM ist ein Projekt im Rahmen des EU Horizon 2020 Programms und gehört zur STARTS Familie. Unser Team besteht aus einem internationalen Partnerkonsortium aus dem Bereich Creative/Fashion, Technologie, Industrie und Science.
Webseite zum Projekt: https://re-fream.eu