Teil des Projektes WE ARE SO
Sex, Drugs and Rock’n Roll – Was war das für eine freie Zeit! Die Musikszene der 1970er und 1980er-Jahre war laut, offen und selbstbewusst. Und Ikonen jener Zeit waren vor allem weiß, männlich und reisten zu ihren Auftritten per Boing 720 an. Und heute? Wie wirken die Bilder jener Zeit auf die Musikbrache von heute? Und lässt sich das Musikgeschäft überhaupt mit nachhaltigem, verantwortungsbewusstem und fairem Handeln vereinbaren? Einige Initiativen geben Handlungsempfehlungen und weisen Wege auf.
We need a Massive Attack on climate misinformation
Del Naja und Massive Attack engagieren sich seit Jahren dafür, wie die Musikindustrie am besten gegen den Klimawandel vorgehen kann. Auch hierzulande finden sich immer mehr Initiativen, die die ökologischen, wie auch die sozialen Aspekte von nachhaltigem Handeln in der Musikbranche aufgreifen.
„Music declares Emergency“ ist eine internationale Initiative, die mit dem Slogan „No music on a dead planet“ zum Umweltengagement von Musiker*innen und Mitgliedern der Musikindustrie aufrufen. Dem Österreich-Flügel der Initiative haben sich bereits 3.500 Künstler*innen und 1.500 Organisationen angeschlossen. Einerseits fordert die Initiative engagierte politische Regelungen, die der Klimakrise entgegenwirken. Andererseits schlägt sie konkrete Maßnahmen vor, wie Künstler*innen, Veranstalter*innen oder auch Musikliebhaber*innen selbst aktiv werden können. Eine der Mitbegründerinnen, Hanna Simons, bringt als stellvertretende CEO von WWF Österreich eine professionelle Expertise ein.
„Wichtig wäre, dass sich die Musiker*innen als Sprachrohr und als Multiplikator*innen engagieren, weil sie eine viel größere Reichweite haben als die Wissenschaft“
Hanna Simons, Music declares Emergency
Ist Umweltengagement glaubwürdig, wenn die Band mit dem Tourbus anreist anstatt mit dem Zug? Ja, denn die Anreise der Band mit dem Tourbus hinterlässt bei Weitem nicht den größten CO2-Fußabdruck. Dennoch – einen Beitrag zur Fairness sollten die kommerziell erfolgreichen Bands mit Sattelschleppern voll Equipment und Nightlinern für die große Crew schon leisten. Studien aus Großbritannien und Schweden bringen Licht ins Dunkel.
Ökologischer Bad Guy im Konzertwesen: Anreise der Fans
Hanna Simons verweist auf britischen Studien, die klar aufzeigen, dass 43 % der CO2-Emmissionen bei Konzerten und Festivals auf das Konto der An- und Abreise der Besucher*innen gehen. Die Verantwortlichen für das schwedische Festival „Way out West“ benennen in ihrer Umweltanalyse konkrete Zahlen und rufen zur Anreise per Bahn auf:
- Transport: 204 t CO2
- Energieverbrauch: 53 t CO2
- Unterbringung: 18 t CO2.
Städtische Konzerte und Musikveranstaltungen inkludieren daher häufig bereits Tickets für die öffentlichen Verkehrsmittel zur An- und Abreise der Besucher:*nnen.
Besonders für Konzerte und Festivals in exponierten Locations bringt Hanna Simons diese CO2-schonenden Maßnahmen ins Gespräch:
- versperrbare und beleuchtete Fahrradabstellplatze in ausreichender Anzahl
- Leitsysteme für gut ausgeleuchtete und sichere Fußwege zum Bahnhof oder Shuttlebus-Bahnhof
Die deutsche Initiative „Green Touring Network“ benennt in ihrem Green Touring Guide für Künstler*innen konkrete Maßnahmen rund um folgende Themen:
- Fahren: beim Verkehrsclub Deutschland (VCD) die klimafreundlichsten Transportalternativen finden
- Spielen: via greenclubindex.de Clubs finden, die selber etwas für den Klimaschutz tun
- Essen: den Tour‐Rider anpassen bzw. Tour‐Caterer briefen
- Schlafen: Buchung via Bookdifferent.com, nach CO2 sortieren und die passende Preis‐/Komfortklasse wählen
- Merch: Tourshirts nur noch mit Bio‐/Nachhaltigkeitssiegel (z. B. GOTS) anbieten
- Reden: Zeigen, was man macht, was man plant und wo man hinwill
Green Rider: Orientierung für alle Seiten
Der Green Rider von „Music declares Emergency“ bringen weitere Maßnahmen für den Backstage, FOH und die Technik ins Spiel:
„Stelle sicher, dass du deine Wasserflaschen im Backstage wieder auffüllen kannst und frage an, ob auch für Fans eine Möglichkeit geschaffen werden kann, ihre Flaschen wieder aufzufüllen oder zumindest, ob auf den Verkauf von Wasser aus Plastikflaschen verzichtet werden kann. Ermutige die Spielstätte auf Ökostrom zu wechseln.“
Wie kommen solche Anfragen oder bisweilen Forderungen bei den Veranstalter*innen an? Pauschal lässt sich das wohl nicht beantworten und die jeweilige Entscheidung ist selbst zu treffen. Tendenziell ist jedoch genug Mut und Entschlossenheit bei den Veranstalter*innen zu sehen, dass sich auch junge Bands und Musiker*innen nicht scheuen sollten, ihre – möglicherweise – optimalen – Bedingungen für einen Auftritt in dieser Location anzusprechen und zu klären.
„Die Green Rider, die wir erhalten haben, decken eigentlich alles ab, was für uns sowieso selbstverständlich ist.“
Bernd Himsl , Head of Production des Linzer Posthofs
Das betrifft regionales, biologisches Essen, Mehrweg-Mineralwasserflaschen, kein Plastikbesteck. Zukünftig wird es für die Künsterler*innen Leitungswasser in Mehrwegflaschen geben. Manche Bands gehen dann noch einen Schritt weiter und bitten darum, dass im Gespräch mit den Mitarbeiter*innen das Thema Nachhaltigkeit und der individuelle Beitrag besprochen werden soll.
Bei den Open-Air-Veranstaltungen kommen zukünftig anstelle von gesponsorten Plastik-Regenponchos kaufbare Maisstärke-Ponchos zum Einsatz, falls sie benötigt werden, weil die Besucher*innen die eigene Regenjacke nicht mitgenommen haben.
Sind Musiker*innen arm aber glücklich?
Das Image der Musiker*in, die einfach nur lässige Musik macht, hat sich verändert. Zum Erfolg in der Musikbranche und zum nachhaltig verantwortungsbewussten Handeln in der Branche braucht es viele Kenntnisse: TikTok, Instagram usw. Wie nachhaltig sind CDs, Merchandising-Produkte, Streaming und, und, und?
Neben den ökologischen Aspekten spielen auch ökonomische und soziale bei nachhaltigem Verhalten mit – die Frage also nach fairer Bezahlung und Diversität der Acts. Wie viel Gage Musiker*innen für ihren Auftritt verlangen sollen – oder dürfen – ist ja immer Verhandlungssache. Richtlinien für faire Bezahlung von Künstler*innen sind hier verfügbar:
Zumindest die geförderten Kulturstätten sollten faire Künstler*innen-Gagen bezahlen, so die Forderung, die noch nicht überall umgesetzt ist. Solche Fairpay-Empfehlungen sollten sich sowohl Künstler*innen wie auch Veranstalter*innen zu Herzen nehmen. Das erleichtert die Gesprächsbasis.
„Es ist wichtig, dass sich Artists nicht für alles total günstig hergeben.“
Bernd Himsl , Head of Production des Linzer Posthofs
Selbstbewusstsein der Musiker*innen
Hanna Simons tritt im Rahmen von „Music declares Emergency“ klar für ein Auf- und Einstehen der Musiker*innen für politische und systemische Rahmenbedingungen ein, die nachhaltig verantwortungsbewusstes Handeln zum Standard erhebt – und nicht wie heute die wohlgefällige Ausnahme würdigt. Musiker*innen hatten immer schon die Rolle, Menschen zu mobilisieren und für politische Veränderungen zu aktivieren.
Dass die Bands aktivistisch auftreten, das muss natürlich eine band-interne und damit authentische Entscheidung sein, und dafür braucht es das passende Selbstbewusstsein. Und das steigt zunehmend. Davon zeugen auch Diversity Riders, die neben den Green Riders festlegen, in welcher künstlerischen Umgebung der Artist im Rahmenprogramm eingebunden sein möchte. Hilfreiche Inspirationen für Veranstalter*innen auch die Initiative von „Save the dance“.
Der erwünschte Idealzustand?
„Die künstlerischen Nischen für die Bands und die Zuhörer*innen sollen auch im Rahmen der Nachhaltigkeit überleben können. Das gibt Freiheit.“
Alexander Köck von Cari Cari
„Das Gespräch zwischen Publikum, Künstler*innen und Veranstalter*innen soll noch offener werden.“
Bernd Himsl , Booking/Produktion Posthof, Liva, Lido Sounds
„Nachhaltiges, klimafreundliches Verhalten soll normal und nicht außergewöhnlich sein. Es soll der Standard sein und ich als Individuum soll mich nicht darum kümmern müssen, wo ich eine nachhaltige Alternative habe.“
Hanna Simons, Music Declares Emergency & WWF Österreich
Das Gespräch fand 20. Mai 2023 im Rahmen des Stream Festival bei einem WE ARE SO Special in der Kunstuniversität Linz statt.
Credits Artikelbild: Theresa Ganglberger