Wie die Kreativbranche Vereinbarkeit neu definiert
“Vereinbarkeit” ist ein großes Wort, eines, über das in den letzten Jahren viel diskutiert wurde. Wenn wir von Vereinbarkeit sprechen, meinen wir meistens die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben – Familie, Hobbies, etc. Überhaupt befindet sich unser Verständnis von Arbeit in ständigem Wandel, nicht zuletzt durch den Megatrend New Work. Die Kreativbranche tickt hier oftmals etwas anders als andere, konservativere Wirtschaftsbereiche. Wir wollen mit unserer neuen Serie aufzeigen, welche Strukturen, Werte, Maßnahmen es hier bereits gibt, welche Meinungen vorherrschen, welche Dinge ausprobiert und wieder verworfen, welche als sinnvoll erachtet wurden. Dafür beleuchten wir unterschiedliche Perspektiven, reden mit Gründer*innen, und genauso auch mit Mitarbeiter*innen.
In unserem ersten Interview mit Florian Knogler (NEST & Zunder) und Sargon Mikhaeel (ARTGROUP) haben wir darüber gesprochen, wie Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem im Arbeitsalltag gelingen kann, warum es dafür nicht zwingend die 4-Tage-Woche braucht, sondern vor allem anpassungsfähige Organisationen. Und warum ein flexibles Stundenangebot eines der wichtigsten Recruiting-Instrumente der Zukunft sein kann.
Florian und Sargon geben Einblicke in ihre Arbeitsmentalität und in ihre Strukturen und Werte, mit denen sie ihre Organisationen entwickelt haben – mit Fokus auf Flexibilität für ihre Mitarbeiter*innen.
Sargon & Florian, wie viele Mitarbeiter*innen habt ihr und mit welchen unterschiedlichen Stunden-Ausmaßen und wie schafft ihr das strukturell in euren Organisationen?
Sargon: „Wir haben 20 Mitarbeiter*innen, im Stundenausmaß von zwischen 16 bis 40h pro Woche. Wir haben sehr viele Leute, die extrem agile Arbeitszeitmodelle wollen und auch flexible Arbeitsorte. Die Jungen sagen: Ich will 35 oder 25 Stunden und arbeiten, von wo ich will. Dann gibt es welche, die sagen, ich hätte gerne 3 Monate Pause, dann komm’ ich wieder etc. weil ich z.B. eine Band habe und auf Tour bin und diese Flexibilität daher brauche. Das war anfangs eine Veränderung für uns als Organisation. Anfangs waren wir von unseren Strukturen her nicht auf das ausgerichtet. Da waren wir jedes mal gefühlt überfordert, wenn wer mit sowas daher gekommen ist und dann haben wir gesagt: das geht nicht! Wir müssen unsere Organisationsstruktur so aufbauen, dass es völlig in Ordnung ist, diese Flexibilität zu geben. Wir wollen sagen: Ja, mit einer Vorlaufzeit von 3 Monaten kannst du 3 Monate weg sein! Wenn ich als Arbeitgeber sage, ich möchte Leute einstellen, die keine Flexibilität haben wollen, die lieber einen 9 to 5 Job haben wollen – das geht in unserer Branche gar nicht. Und das will auch sonst keiner. Jeder Mensch will eine gewisse Flexibilität für seinen/ihren persönlichen Lebensrhythmus haben und sagen: ‚Vertraut mir halt, liebe Chefs!'“
“Wir müssen unsere Organisationsstruktur so aufbauen, dass es völlig in Ordnung ist, diese Flexibilität zu geben.” – Sargon
Sargon Mikhaeel – ARTGROUP
Florian: „Bei uns ist es minimal anders. Wir sind 8-10 Leute und mit dieser Größe natürlich auch etwas flexibler als die ARTGROUP. Ich habe Mitarbeiter*innen mit Vollzeit, was 36 Stunden bedeutet, andere mit 24h, 18h, oder 9h, je nachdem wie es bei ihnen ins Leben passt. Für solche Modelle müssen wir unsere Auffassung von Arbeit verändern und die Strukturen anpassen. Wir haben am Montag eine Abstimmung, unser Jour Fixe, wo wir alles durchgehen. Wer nicht da ist, wird dann angerufen bzw. online dazu geholt, je nachdem wie es passt. Bei uns ist es aber so, dass alle an allen Projekten arbeiten. Kann schon sein, dass mal eine:r eines fertig macht, weil es gerade in der Abwicklung leichter ist. Wir wissen, was die Woche zu tun ist und unter der Woche stimmen wir uns dann nochmal genauer ab, wer was macht. Es ist mir extrem wichtig, dass eine gewisse Selbstverantwortung herrscht. Wenn das funktioniert, kann sich das Team selbstbestimmt ausmachen, wer was abwickelt. Mir ist wichtig, dass das System auch ohne mich funktioniert. Ich bin da, ich bin immer für sie da, ich bin erreichbar. Aber ich möchte, dass sie sich selbstständig organisieren und untereinander abstimmen. Dann können sie voneinander lernen und profitieren.“
Sargon: „Damit wir diese extreme Flexibilität, wann wer wie arbeitet, gewährleisten können, sind wir extrem genau beim Projektmanagement. Der einzige fixe Termin bei uns ist Montag um 10:00 Uhr – Wochenprojektbestrepchung. Dauert eine Stunde, danach hast du aber zugewiesen, was wann wer wie arbeitet, was ist zeitkritisch, bei welchen Kund*innen wissen wir, was noch spontan daher kommt. Da sind alle anwesend – vor Covid physisch, seit Covid machen wir es online.“
Genaue Abstimmung und ein wöchentlicher Fixpunkt, sowie eine große Portion Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter*innen – das funktioniert für Zunder und die ARTGROUP, um maximale Vereinbarkeit zu ermöglichen. Florian und Sargon haben gelernt, dass sich die Organisations-Strukturen den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen anpassen müssen, anstatt aussichtslos Mitarbeiter*innen zu finden, die in starre Strukturen hineingepresst werden müssen. “Vertrauen statt Kontrolle” ist ein Tenor, der sich durch das Gespräch zieht.
Sargon unterstreicht auch, dass hier die Unternehmenskultur einen enormen Mehrwert liefert. “Es ist sogar so, dass wenn du einmal einen Kern hast, der arbeitet und sich vertraut, dass die Leute gegenseitig mitgerissen werden – da ist dann dieser positive Drive da. Es ist viel effektiver, wenn jemand aus dem Team sagt: He, weißt eh, hier hats was, wir müssen hier dringend was machen, als wenn ich als Chef das sage.“
Wenn langfristig keine Leistung von einzelnen Personen erbracht wird, fällt das in den Abstimmungsmeetings auf, und dann müsse man schauen, was der Grund ist. Die Struktur bietet hier ein Fallback für die Kontrolle.
Auch Florian erklärt hierzu, dass es auch in größeren Strukturen mit guter Teamkultur auffallen würde, wenn die Leistung nicht passt. “Da ist die Gegenfrage: Wem würde es nicht auffallen? Auch in größeren Unternehmen gibt es Teamleads, denen das auffällt. Sonst ist sowieso etwas falsch. Es muss in jedem Setting eine Vertrauensperson geben, die Auffälligkeiten wahrnimmt – ob ich jetzt Arbeitgeber, Papa oder Trainer in einem Verein bin – ganz gleich – man versucht immer sein Team besser zu machen. Ich glaube, das ist einfach eine strukturelle Sache. Wir sind oft österreichisch gehemmt, Strukturen zu ändern. „
“Es muss in jedem Setting eine Vertrauensperson geben, die Auffälligkeiten wahrnimmt.”
Florian Knogler – Zunder
Wenn man so viel Flexibilität auch durch flexible Strukturen und eine positive, vertrauensvolle Arbeitskultur gewährleisten kann – braucht es dann eigentlich die Frage der für alle gleich geltenden 4-Tage-Woche überhaupt? Und warum ist es für viele andere Organisationen noch ein Problem, andere Arbeitszeiten als 40h oder 20h Stunden anzubieten?
Florian: “Die 4-Tage-Woche ist eine Modeerscheinung”, meint Florian dazu. “Typisch österreichisch, wir sind hinten nach. Aber wenn man ein bisschen flexibler wäre, wenn man schaut, was wollen denn die Leute – wie Sargon sagt, wenn jemand eine Band hat – will vlt. etwas geblockter freihaben, oder wenn jemand Familie hat, muss er flexibel sein… Jedes Unternehmen versucht zwanghaft, Mitarbeiter*innen zu kriegen und glaubt, die 4-Tage-Woche ist interessant. Man muss sich aber ernsthaft überlegen, was das eigentlich heißt!”
Ähnlich sieht das auch Sargon: Der Social Talk gehe verloren, wenn man 36 Stunden in 4 Tage packt, das Stresslevel steigt, denn die Aufgaben würden nicht weniger werden. Das sei suboptimal und keinesfalls eine Lösung, die man generisch über den Arbeitsmarkt stülpen sollte, so Sargon. Flexible Strukturen bringen hier mehr Wirkung und das Potenzial sei noch groß!
Sargon: „Die Kunden, für die wir Employer Branding machen – da ginge viel mehr. Da gibt es einige, die schon sehr pionierhaft arbeiten, aber viele Unternehmer*innen sagen, Nein, unterschiedliche Stunden-Ausmaße, das ist kompliziert. Weil, wie stellt ihr euch das vor, wenn die Lohnverrechnung jeden Monat anders abrechnet? Tja, dann muss sie es halt machen. Wenn Kunden etwas fordern, schafft es auch jeder, sofort eine Lösung zu finden. Dieses Mindset gilt halt auch für Mitarbeiter*innen. Diese Priorität musst du bei eigenen Leuten auch haben. Wie wollt ihr heutzutage sonst noch junge Leute kriegen?“
“Wenn Kunden etwas fordern, schafft es auch jeder, sofort eine Lösung zu finden. Dieses Mindset gilt halt auch für Mitarbeiter*innen. Diese Priorität musst du bei eigenen Leuten auch haben.”
Sargon Mikhaeel – ARTGROUP
Generell stellt sich die Frage der Vereinbarkeit nicht nur für jene, die Familie und Beruf unter einen Hut bringen wollen, sondern auch für viele junge Leute, die aus unterschiedlichsten Gründen eine verringerte Stundenzahl arbeiten wollen. Das sei von vielen Organisationen jedoch noch nicht akzeptiert.
Sargon: „Studieren oder Kinder sind die einzigen Gründe, die akzeptiert werden für nicht Vollzeit – aber hey, ist ja egal, warum jemand 30 Stunden machen will. Wenn er auf den Berg geht und den ganzen Tag in den Wald reinschaut – ist mir doch egal. Das ganze: Wo soll es mit dieser Generation hingehen und wie faul und bla bla bla, das bringt uns nicht weiter. Auf der anderen Seite hören wir, wenn wir mit alten Menschen reden und fragen, was sie anders machen würden: Nicht so viel arbeiten. Weiß nicht, ob das schon so ein Neid ist, dass eine Generation der anderen nichts gönnt. Gönnt es doch den jungen Menschen! Die sagen: Ich brauche kein Auto, lebe vielleicht bis 30 in einer WG und dafür reicht mein Einkommen für 28 Stunden. Sie haben einfach andere Interessen und Arbeitseinstellungen. Und mein Punkt ist: Nur weil ich keine Kinder habe, muss ich 40h arbeiten? Ich will das nicht. Akzeptiert das und bitte blamed mich nicht. Ich versteh diese Mentalität voll. Man lebt nur einmal. Ja, ich geh’ auch um 5, weil ich Sport mache. Und fertig.“
Auch Florian ergänzt, dass Flexibilität mehr zur Gesundheit beiträgt: „Wenn es im Sommer schwül ist und ich flexibel arbeiten kann, bin ich froh, wenn ich nachmittags einfach aus dem Büro gehen kann und mich dafür vlt. am Abend noch hinsetze. Wenn ich einfach nicht mehr kann, wie soll ich dann kreativ sein? Wir müssen diese Flexibilität in der Kreativwirtschaft viel mehr vorleben!“
Sargon: „Ich würde die erste Person sofort feiern, die sich bei mir im Videocall einschaltet und dabei im Freibad ist. Wenn man einfach sagt: Ja, wo ist das Problem? Es ist nämlich keins. Das würde ich wirklich feiern.“
Im nächste Teil der Serie interviewen wir Barbara Lamb, Geschäftsführerin von Impuls Kommunikation.