Drei Sichtweisen auf Textilien und Materialien
Es ist der 10. Oktober 2019. An diesem Herbstabend ist ordentlich was los in der Linzer Tabakfabrik. Im ersten Geschoß der Grand Garage wird nämlich der reguläre Memberbetrieb eröffnet und das wird gefeiert. Auch im zweiten Obergeschoß der Grand Garage finden sich jede Menge Interessierte ein, die sich WE ARE SO future textiles nicht entgehen lassen wollen. Rund 60 TeilnehmerInnen diskutieren im Rahmen der dreizehnten Ausgabe unserer Veranstaltungsreihe WE ARE SO intensiv über Textilien und Mode-Materialien der Zukunft. Die Vortragenden Michael Haller (FH Oberösterreich Campus Hagenberg), Karin Fleck (Vienna Textile Lab) und Nico Brischke (Texaid.at) zeigen ihre aktuellen Projekte und geben einen Ausblick in die Zukunft der Branche.
Re-Fream - Re-think Fashion
Die Talkrunde wird in Zusammenarbeit mit Re-FREAM organisiert, einem Horizon 2020-Projekt von der Europäischen Union das die Fashion(-industrie) neu denkt. Verena Traunmüller managt für die CREATIVE REGION das Projekt und spricht zu Beginn darüber, worum es dabei u.a. geht:
„Die Fashionindustrie ist eine der größten Umweltverschmutzerinnen unserer Zeit. Im Projekt Re-FREAM bringen wir DesignerInnen mit TechnologenInnen zusammen, die gemeinsam an neuen Herstellungsweisen, Produktionsprozessen und urban manufacturing Möglichkeiten forschen können.“
Zehn Artists, die ihre Projekte bei einem weltweiten Call einreichten, wurden im Sommer von einer Fachjury ausgewählt und forschen nun mit den Technologiepartnern neun Monate lang an der Zukunft der Mode und entwickeln Prototypen. Unter den zehn Artist ist beispielsweise Oscar-Preisträgerin Julia Körner, deren preisgekrönte, 3D gedruckte Mode in Marvels Black Panther zu sehen ist.
Die Erkenntnisse und der Fortschritt der Zusammenarbeit von TechnologenInnen und DesignerInnen werden auf einer Open Innovation Plattform von Re-FREAM zugänglich sein, daran wird momentan gearbeitet, so Verena Traunmüller. Im Juni 2020 folgt schon die nächste Ausschreibung, erneut werden zehn Projekte gesucht.
Smarte Textilien und Künstliche Intelligenz
Michael Haller vom Department of Interactive Media der University of Applied Sciences Upper Austria (FH Oberösterreich, Campus Hagenberg), Gründer und Direktor des dortigen Media Interaction Lab (www.mi-lab.org), eröffnet anschließend mit der Intro-Session den Talk rund um Textilien der Zukunft.
Er und sein Team legen an der FH Oberösterreich am Campus Hagenberg den Forschungsfokus auf Mensch-Maschine-Interfaces und beschäftigt sich intensiv mit der Entwicklung drucksensitiver Sensoren. Die Grundidee war es, einen biegsamen Foliensensor, vornehmlich für die Automobilindustrie, zu entwickeln. Dabei wollte das Team vor allem aktuell verbaute Steuereinheiten wie z. B. Fensterheber ersetzen, um dadurch etwa Gewicht einzusparen. In einem BMW Konzeptfahrzeug wird dieses drucksensitive Gewebe bereits eingesetzt.
Wie man die Technologie bei Bekleidung anwenden und smarte Textilsensoren bauen kann, damit hat man sich ebenfalls befasst. Die Hagenberger sind mit ihrer Forschung aber nicht alleine. Michael Haller hat einige smarte Textilien mitgebracht, unter anderem trägt er bei seinem Vortrag die Google Jacquard. In die Jacke, ein Google/Levis-Co-Projekt, sind hauchdünne Drähte integriert, die als Sensor dienen und das Smartphone steuern können. Der Nike Huarache Adapt Schuh, den er ebenfalls mitgebracht hat, kann über die Siri-Sprachsteuerung automatisch geschnürt und geöffnet werden. Inspiration dafür haben die Nike-EntwicklerInnen mit einem kleinen Augenzwinkern übrigens im Film „Zurück in die Zukunft“ gefunden. Und auch Yves Saint Laurent hat vor kurzem einen Rucksack mit smarter Technologie präsentiert. Momentan ist der Entwicklungsstand, z. B. bei der Google Jacquard-Jacke jener, dass nur über die tatsächliche Berührung interagiert werden kann. Das Ziel ist es, auch über Gesten zu steuern. Dafür bedient man sich Künstlicher Intelligenz, Gesten und Muster werden antrainiert und wiedererkannt.
Doch wie funktioniert das nun genau? Das Prinzip ist einfach und die Technologie ist nicht neu, meint Haller:
„In den 70er Jahren wurden Sensoren auf Plättchen gedruckt. Das Verfahren wurde nun auf die Textilebene projiziert, also auf einen Garnfaden.“
Beschichtete Silberfäden werden überkreuzt und ergeben einen Kreuzungspunkt. Wird auf diesen Kreuzungspunkt Druck ausgeübt, z. B. durch eine Berührung, verändert sich der Widerstand. Mit einem gewöhnlichen Kreuzstich baut man sozusagen einen Druckknopf. Haller erklärt das ausführlicher:
„Nicht nur Ein/Aus wird erkannt, sondern der jeweilige Druck ist mess- und erkennbar. Der dünnste Draht hat einen Durchmesser von 80 μm, was ungefähr der Stärke eines Haares entspricht. Der Faden kann auch maschinell verarbeitet oder gestickt werden.“
Noch befinden sich die Entwicklungen in ihren Anfängen, Garnhersteller führen Wasch- und Belastungstest durch und auch in Richtung smarte Kunststoff-Composite-Teile wird weiter geforscht. Herausfordernd sind, nach Hallers Einschätzung, die Fragen der Nachhaltigkeit:
„Wir sind nur mehr am Aufladen, das Smartphone, die Schuhe, die Jacke. Alles muss aufgeladen werden. Hier bedarf es noch Problemlösungen, an denen geforscht werden muss.“
Die Farbenpracht der Bakterien
Karin Fleck beschäftigt sich im Vienna Textile Lab mit Farben. Genauer genommen mit dem Färben von Textilien mit Hilfe von Bakterien. Und sie macht dafür einen kleinen geschichtlichen Exkurs: von Purpur, der aus der im Mittelmeer lebenden Purpurschnecken gewonnen Farbe der Herrscher, die mit Gold aufgewogen wurde; über William Henry Perkin, der durch einen Zufall den ersten synthetischen Farbstoff entwickelte und diesen weltweit industriell herstellte; bis zu den aktuellen Herausforderungen der modernen Fashionindustrie. Viele der nach Perkin entwickelten Textilfarben sind heute verboten, weil sie als gesundheitsschädlich oder -gefährdend eingestuft wurden und ihre Herstellung enorme Umweltbelastungen verursachen.
Karin Fleck:
„Wenn sie nicht toxisch sind, überdüngen sie zumindest die Gewässer.“
Aus Pflanzen gewonnene Farbstoffe brauchen viel Anbaufläche und viel Zeit. Alternativen bietet die Farbgewinnung mithilfe von Pilzen, Algen oder Bakterien. Im Vienna Textile Lab nutzt man ebendiese Bakterien, weil sie nicht nur um einiges umweltverträglicher sind, sondern auch prächtigere Farben erzeugen. Die Färbung mit Bakterien ist nichts anderes als eine Art der Biosynthese, die Bakterien wachsen auf den Stoffen und breiten sich aus. Sie werden in der Natur gesammelt, im Labor wachsen sie heran, werden gereinigt, der Farbstoff wird extrahiert und an die Industrie verkauft. Das große Ziel ist es, die erdölbasierten Elemente aus dem Prozess auszuklammern. Vorwiegend werden Grundfarben hergestellt und unterschiedlichste Materialien von Naturfasern wie von Bananen oder Baumwolle bis hin zu Synthetischen Stoffen gefärbt. Sowohl bei Waschechtheit als auch bei anderen ISO-Tests schneiden die Farben gut ab. Karin Fleck ist überzeugt:
„Die Entwicklung neuartiger Farbherstellungsmethoden ermöglicht es, etwas aus der Natur zu schaffen und auch wieder in die Natur zurückzuführen – ohne Erdöl.“
Textilien zurück in den Kreislauf bringen
TEXAID ist eines der europaweit führenden Unternehmen beim Sammeln, Sortieren und Verwerten gebrauchter Textilien. Nico Brischke, Geschäftsführer der TEXAID Austria GmbH, erzählt, dass nur etwa 65 % der von TEXAID gesammelten Alttextilien als das verwendet werden können, was sie sind, nämlich Textilien. Der Rest der 88.000 Jahrestonnen würde theoretisch in die thermische Verwertung laufen. Die dadurch ungenutzte Energie, die in den Textilen steckt, geht verloren. TEXAID versucht, diese 35 % bestmöglich zu nutzen. Den entsorgten Alttextilien, die noch genutzt werden können, wird in den 49 TEXAID-Secondhand-Shops ein zweiter Lebensweg ermöglicht. Nico Brischke:
„Gebrauchte Kleidung und Alttextilien sollen durch Secondhandshops im Verwertungskreislauf verbleiben.“
Er gibt außerdem einen Einblick in die Möglichkeiten des Textilrecyclings der Zukunft und einen Überblick darüber, wie die nicht mehr als Secondhandware brauchbaren Produkte bei TEXAID genutzt werden. Durch die Sortierung müssen nur etwa 5 % der Sammelmenge thermisch verwertet werden. Der Rest wird zu Putzlappen verarbeitet, die die Industrie zum Reinigen und Polieren verwendet, ein weiterer großer Teil wird zu neuen Produkten verarbeitet, wie z. B. Faserverbundstoffe, die als Dämm- oder Isolierstoffe genutzt werden.
Spannend ist auch ein Projekt, das TEXAID gemeinsam mit dem Designer Rafael Kuoto umsetzt. Der Schweizer Modemacher verwendet für seine Fashionwerke Altkleider aus der TEXAID-Sortierung. Außerdem arbeitet TEXAID in diversen Forschungsprojekten u.a. an der Rückgewinnung und Wiederverwertbarkeit von Alttextilien mit dem Ziel, den Kreislauf zu schliessen.
Future textiles und Nachhaltigkeit
Im Sinne der Nachhaltigkeit wird also an vielen Ecken und Enden an den „future textiles“ gearbeitet und das über die gesamte Wertschöpfungskette von der Herstellung der Farben, über Design und neue Technologien bis hin zur Verwertung und Nachnutzung. National und international sind ökologisch wie ökonomisch neue Trends für mehr Bewusstsein erkennbar. Chapeau!
Re-think fashion! „Re-FREAM“ ist ein Begriff aus den USA der 50er Jahre. Er beschreibt Menschen, die aus der Norm fallen; all jene, die Dinge anders machen. Unter dem Motto „rethink fashion“ arbeitet das internationale Re-FREAM Team mit genau solchen Menschen: Artists, Designer*innen und Technolog*innen aus ganz Europa denken in Co-Creation die Modeindustrie neu.
Re-FREAM ist ein Projekt im Rahmen des EU Horizon 2020 Programms und gehört zur STARTS Familie. Unser Team besteht aus einem internationalen Partnerkonsortium aus dem Bereich Creative/Fashion, Technologie, Industrie und Science.
Webseite zum Projekt: https://re-fream.eu