Teil des Projektes Creative Coffee Breaks
Die Berater*innen, Designer*innen und Software-Ingenieur*innen von Netural fokussieren sich seit 1998 auf digitale Services. Sie sind nicht nur im e-Business und bei der Entwicklung von zukunftsweisenden Tools, Apps und Plattformen Vorreiter, sondern auch echte Pioniere der Tabakfabrik Linz. Seit die Tabakfabrik zum Kreativ-Hotspot in Linz wurde, ist die Netural-Homebase nämlich dort beheimatet.
Netural findet hier die richtigen räumlichen Rahmenbedingungen für Innovation und die entstehen nachweislich beinahe am laufenden Band. Ausgründungen wie Storyblok, Responsive Spaces, Social Hearts oder roomle, beweisen, dass Netural ein fruchtbarer Nährboden für Innovationen ist.
Christina Diwold und Peter Gollowitsch plaudern bei der aktuellen Creative Coffee Break aus dem digitalen Nähkästchen und verraten, wie aus einer Netural-Idee ein erfolgreiches Spin-off werden kann und wo ihr Business zukünftig hingehen wird.
Wolfgang/Creative Region:
Bei unserer heutigen Creative Coffee Break sind wir zu Gast bei Netural in der Tabakfabrik Linz. Netural setzt digitale User Experiences für ihre Kund*innen um. Mit Peter Gollowitsch und Christina Diwold sprechen wir über Designprozesse, Agilität, Unternehmenskultur und was das alles mit Netural, mit den Kund*innen und User*innen zu tun hat.
Was macht Netural?
Peter Gollowitsch: Netural operationalisiert digitale Strategien. Wir bewegen uns sehr spitz im Gap zwischen dem Erdenken von Strategien digitaler Transformation auf Eigentümer- und Führungsebene und wie man dann einzelne Projekte herausschält und sie auf den Boden bringt. Da ist sehr oft ein Spalt dazwischen, der schlecht überwunden wird. Das ist eigentlich unsere Spezialisierung.
Wir haben einerseits die Beratungskompetenz, um auf strategischer Ebene das Gesamtbild zu besprechen, und andererseits können wir auch für einzelne Projekte, dort wo wir mit unserer Umsetzungskompetenz Sinn machen – das ist vor allem im Individualbereich –, sehr gut die Dinge auf den Boden bringen, das haben wir schon oft gezeigt.
Einer eurer Schwerpunkte liegt auf der User Experience und dem User Interface Design. Worum geht es hier?
Christina Diwold: Es geht darum, die Businessanforderungen unserer Kund*innen gemeinsam mit den Anforderungen, die die Nutzer*innen haben, zu vereinen. Wir machen das immer in Form von Service-Design-Workshops gemeinsam mit den Kund*innen, damit wir einerseits die Zielsetzung des Projekts herausfinden und andererseits auch evaluieren, was die Nutzer*innen eigentlich wollen und was ihnen hilft, um ihren Arbeitsalltag und ihre Prozesse möglichst gut lösen zu können.
Das Ganze soll auch in ein schönes Design gegossen werden, bei dem die Nutzer*innen die Komplexität gar nicht spüren, sondern sich gut anfühlt und entsprechend aussieht. Wir überprüfen unsere Konzepte ständig anhand von Nutzer*innentests. Wir schauen uns die Konzepte und Designs, die wir entwickelt haben, gemeinsam mit den Nutzer*innen an und adaptieren sie gegebenenfalls, sollte etwas noch nicht hundertprozentig passen.
Ihr seid im Bereich digital health aktiv. Wie wird das Thema unser Leben beeinflussen?
Peter Gollowitsch: Wie das „digital health“-Thema unser Leben beeinflusst, maße ich mir nicht an zu beantworten. Ich formuliere es anders: Es gibt einen gewissen Erwartungsdruck, den die Konsument*innen, das sind in diesem Fall Patient*innen oder Angehörige, haben. Dieser Erwartungsdruck hat sich in den letzten zehn Jahren herausgebildet aufgrund dessen, was digitale Services schon leisten können. Das ist der marktseitige Druck auf das Gesundheitssystem und hinzu kommt der Druck von innen heraus, weil nicht genug Ressourcen vorhanden sind, so wie es bei uns läuft. Es gibt zu wenig Leute, das System braucht aber viel Geld, daher besteht von innen heraus großer Druck, sich zu verändern.
Was von uns als Netural in dem Phänomen, in der Situation zu erwarten ist: Wir haben die Erfahrung, wie man Prozesse digitalisiert mit der Sicht auf die Benutzer*innen aus Projekten anderer Branchen und können das aufs Gesundheitswesen umlegen. Durch Gesundheitsforschungsprojekte und kommerzielle Projekte im Gesundheitsbereich haben wir einen gewissen Einblick. Wir sind nicht DER Gesundheitsprofi, haben aber einen gewissen Einblick. Zum Stichwort „Patient Journey“, das im Gesundheitswesen gerade hoch angesagt ist, können wir sehr viel Erfahrung einbringen, die zu 70-80% nicht spezifisch für das Gesundheitswesen ist. Das Gesundheitswesen hat einen hohe Load an Restriktionen sowohl regulativ als auch ressourcenmäßig. Es ist hier komplexer und langatmiger Benutzer*innen-Zentriertheit umzusetzen und Digitalisierung auf den Boden zu bringen.
Welche Anforderungen stellen digitale Services und Produkte ans Design?
Christina Diwold: Da geht es darum, Akzeptanz bei den Nutzer*innen zu schaffen. Man stellt die Schnittstelle zwischen den digitalen Produkten und den Arbeitsabläufen bzw. den Prozessen her, die die User*innen dann wirklich haben. Das kann unterschiedlich sein, es geht auch um das Thema Performance z. B. die Nutzer*innen wollen alle Informationen schnell haben, es soll schnell geladen werden. Es spiegelt sich in allen Bereichen wider, sowohl in der Entwicklung als auch im Design. Wir müssen die Systeme mitbedenken. Es hängt auch stark davon ab, welches Device es ist: Geht es um eine App, geht es um eine Webapplikation oder ist es ein System für ein Unternehmen, das bestehende Systeme in einem vereinen soll.
Es gibt auch Anforderungen an e-Commerce (z. B. e-Commerce-Shops). Da geht es darum, den Nutzer*innen die Kaufentscheidung zu erleichtern, indem man z. B. online etwas probieren kann. Wir integrieren die unterschiedlichsten Technologien. Hier gibts unterschiedliche Ansätze. Wir arbeiten teilweise mit User*innentests, bei denen wir bei ihnen sitzen. Bei e-Commerce-Shops tracken wir mit, um zu sehen, wo die User*innen abspringen, wo besteht Handlungsbedarf, z. B. im Check-out. Dort sehen wir, ob an der Usability des Interfaces etwas verbessert werden kann, um den Kauf auch wirklich abzuschließen.
Ihr gewinnt regelmäßig Preise wie den red dot. Wie wichtig sind diese Awards?
Christina Diwold: Es ist schon sehr wichtig, es ist immer schön, wenn man Anerkennung von einem weltweiten Expert*innengremium bekommt und man sieht, dass das, was man schafft, einen Wert hat und anerkannt wird. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass wir die Schnittstelle zwischen Menschen und digitalen Prozessen herstellen können.
Peter Gollowitsch: Die Leute, die nur wegen Awards kommen, die muss man meistens reframen, die haben uns als Werbeagentur oder sehr kommunikationslastiges Unternehmen am Radar. Wir sind keine Agentur, auch von unserer Struktur her nicht, wir arbeiten nicht wie eine Agentur, weil wir kaum externe Lieferant*innen haben. Aber es zeigt uns die Pflichtübung.
Es gibt Projekte, da hat es überhaupt keine Relevanz. Weil wir aber an der Schnittstelle zu den Nutzer*innen arbeiten, zeigt es, dass wir die Pflicht im Griff haben. Wir brauchen mit den Kund*innen nicht darüber diskutieren, ob wir ein ordentliches Screen-Design zusammenbringen oder wie digitale Interaktionen zu konzipieren sind. Mittlerweile ist der Markt so weit, dass wir das im Vorfeld auch nicht mehr präsentieren müssen, weil sie wissen, dass wir das können. Es kürzt den Weg zum Wesentlichen ab. Natürlich ist es ein Proof, dass die Lösungen bei den Nutzer*innen sind. Das ist für uns das Wichtigste.
Wenn ihr euch nicht als Agentur seht, was ist euer Geschäftsmodell?
Peter Gollowitsch: Wir sind ganz weit weg von einer klassischen Werbeagentur, weil wir die ganze Kommunikationsleistung gar nicht erbringen, die erbringen wir höchsten aus dem Projekt heraus, wenn es so spezifisch und komplex ist, ein Projekt zu kommunizieren, dass es notwendig ist, dass es der kommuniziert, der es auch gemacht hat. Wir sind eine Ergänzung zu einer klassischen Werbeagentur. Wir sind ein Operationalisierer von Digitalisierungsstrategien und Transformationsprojekten mit einem soliden Bein im Doing, in der IT. Von den über 80 Mitarbeiter*innen sind mehr als die Hälfte Entwickler*innen, die wissen, wie man etwas auf den Boden bringt. Sie sind von Anfang an dabei, das sind die Operationalisierer – die „Rüberheber“. Das ist schon auch die Schwierigkeit, die wir in der Kommunikation haben, dass man das, was ich eben gesagt habe, nicht gut kommunizieren kann. Aber daran arbeiten wir.
Agilität und Individualität zeichnen euch aus. Wie sieht das im Büroalltag aus?
Christina Diwold: Von der Organisation her sind wir in Units geteilt. Wir haben zwei Produktivunits, die man als kleine Firma versteht. In jeder Unit gibt es Backend- und Frontend-Entwickler*innen, Designer*inner und Accountmanager*innen, die Projekte zugeordnet haben. Die Produktionsunits sind auch räumlich getrennt, sitzen in zwei Stockwerken, können aber auch übergreifend bei z. B. großen Projekten arbeiten.
Zusätzlich gibt es, was das Thema Agilität betrifft, ein Großraumbüro, hier ist alles sehr offen, das spiegelt sich auch in der Kommunikation – Gespräche werden über Tische hinweg geführt und jeder kann seinen Input liefern. Im Projekt oder Team haben wir täglich Stand-Ups, bei denen ein Status, ein Check gemacht wird, woran jede:r gerade arbeitet, ob Hilfe gebraucht wird usw. Auch eine hybride Form der Stand-Ups haben wir geschaffen, wenn jemand im Homeoffice ist. Dafür gibt es Stand-Up-Areas mit Kameras und großen Bildschirmen, so haben wir flexible Möglichkeiten.
Regelmäßig werden Projekte von euch ausgegründet. Wie schafft man einen Nährboden für interne Innovation?
Peter Gollowitsch: Das passiert, aber mittlerweile passiert es nicht unbedingt gewollt, aber wir sind bereit dafür. Durch unser agiles Arbeiten kann schon viel passieren, weil Freiheit für Innovation da ist. Man muss neben der Freiheit Innovationen zu erlauben, auch den Mut haben, Ideen fliegen zu lassen und auszuprobieren. Was ich damit meinte, dass es nicht mehr zufällig passiert, ist dass wir gelernt haben eine Idee, die sich potenziell entwickeln kann, sehr genau zu beobachten und klar zu framen.
Meistens sind es Produktideen oder andere Ideen wie Social Hearts, die nicht in unserem Core-Business sind. Wenn das so ist, muss man es möglich bald erkennen und sich den überlegen, wo der Pfad hingeht. Diesen Pfad muss man vorher klar beschreiben und ein zeitliches Limit setzen, sonst kannibalisiert sich das Projekt. Das ist der eigentliche Trick an der Sache. Innovationen passieren auch woanders, was bei uns sehr professionell gelingt, ist Potenzial zu erkennen und die Verantwortlichen, werden dann freigespielt. Wenn wir es nicht schaffen es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt das Projekt herauszuheben, muss man es lassen.
Welche Technologie steht jetzt in den Startlöchern bzw. wird in den nächsten Jahren auch für alle nutzbar und unverzichtbar?
Peter Gollowitsch: Es gibt zwei Technologien im Moment, die auf dem Tablett liegen und kommen werden: Beim Metaverse halte ich mich noch ein wenig zurück und Blockchain, das technologisch dahintersteht. Blockchain beeinflusst bereits und wird es auch in Zukunft tun. Im Businessbereich wird sich die Technologie mehr und nachhaltiger auswirken als im Consumerbereich. Über Metaverse kann man reden, wenn man drei Söhne hat, will man darüber nicht zu viel reden.
Was viel näher ist und einen stärkeren Impact hat, quasi vor der Tür steht, ist Augmented Reality (AR) als Personal Device. Darüber wird weniger geredet und geschrieben, weil es nicht so spannend ist, weil AR schon einmal einen Hype hatte und dennoch nicht viel passiert ist. Aber das wird in den nächsten drei, vier, fünf Jahren in einer Vehemenz kommen, die uns alle noch große Augen machen lassen wird. Es gibt viele großartige Use Cases und Fantasien, die man damit verbinden kann. Es wird tatsächlich in diese Richtung gehen, ist unsere Meinung. Durch Mixed Reality bzw. AR im Alltag wird das Thema User Experience gravierend verändern.
Wo holt ihr euch Inspiration?
Christina Diwold: Wir haben bei Projekten gerne die Ideation Sessions. Jede*r, der oder die am Projekt beteiligt ist, kann interdisziplinär teilnehmen. Wir machen eine Kreativ-Session mit unterschiedlichen Kreativitätstechniken, bei denen Ideen kommen, die teilweise ganz absurd sind. In einem weiteren Schritt schaut man, was kann man damit anfangen, kann man die Ideen weiterentwickeln, was ergibt sich dann. Auch aus vergangenen Projekten schaut man, ob etwas übernommen werden kann. Die Benchmark-Analyse, was machen andere in diesem Bereich, ist auch oft hilfreich. Durch viele Gespräche zwischendurch und offenen Kommunikation lassen sich auch Ideen generieren.
Ihr sitzt in der Tabakfabrik Linz und seid unter den Pionieren gewesen. Welche Rolle spielt dieser Standort für euch?
Christina Diwold: Wir waren unter den Ersten, die in die Tabakfabrik eingezogen sind. Was sich immer widerspiegelt und auch sehr inspirierend ist, dieses Gebäude war für die damalige Zeit schon sehr modern und sehr zeitlos. Es hat immer einen gewissen Touch dabeigehabt, das spiegelt sich bei uns in den Designs wider. Man arbeitet möglichst zeitgemäß, aber auch langlebig und überlegt, wie man etwas nachhaltig lösen kann und das, was die Räumlichkeiten mitbringen, in das Projekt einfließen lassen.
Wie werden die Raumkonzepte bei euch an aktuelle Bedürfnisse angepasst?
Peter Gollowitsch: Die Raumkonzepte werden laufend verändert. Das wird stark von Albert (Ortig, CEO von Netural) getrieben, der ein intrinsisches Bedürfnis verspürt, wenn er sieht, dass etwas nicht funktioniert, wenn sich die Gegebenheiten verändert haben, wird es umgebaut. Hier haben wir jemanden an der Spitze, der viel Gespür dafür hat.
Dieses kreative, hybride Arbeiten ist ein spitzer Bereich, in dem wir schnell reagieren, aber noch nicht dort sind. Wir haben einen Umbau nach Ende des Lockdowns gehabt, der einiges wieder verändert hat: mehr kleinere Räume, mehr Rückzugsmöglichkeiten. Wir haben teilweise Vorhänge in die Räume gegeben, was am Anfang völlig undenkbar war. Aber man braucht das akustisch, weil mehr Zoom-Konferenzen stattfinden und weil ein gewisses Maß an Rückzugsmöglichkeiten notwendig sind. Es ist definitiv im Fluss, es verändert sich.
Was kann man demnächst von euch erwarten?
Peter Gollowitsch: Das ist eine schwierige Frage. Wir sind bei allen Kund*innenprojekten mit Herzblut dabei. Es gibt kein Projekt, bei dem wir sagen: „Wow! Das ist es!“ Es gibt im Nachhinein einige Leuchtturmprojekte, das kann man im Vorfeld aber nicht sagen. Wir haben Projekte, die kritisch sind, kurz vor dem Onlinegang, beim Kund*innen aber noch intern konträre Stimmen vorherrschen, die User*innentests sagen, dass es super ankommt, wir aber selbst gespannt sind, wie es sich entwickelt.
Es gibt Projekte, bei denen wir explorativ sind und viele coole Dinge denken, über die wir aber noch nicht viel erzählen dürfen, bei denen dann zehn Jahre später in einem Serienmodell eines Automobilherstellers ein digitales Detail eingebaut ist, das von uns stammt. Wir schauen schon sehr bald in der Akquise, ob unsere Idee passt. Entscheidend ist, dass die Kund*innen zu Netural passen, dass die Dinge ausprobieren und zulassen wollen und dann kommt etwas Cooles heraus.
Bei wem sollten wir demnächst auf eine Coffee Break vorbeischauen?
Peter Gollowitsch: Wer sehr spannend ist für uns in der Beobachtung und für mich persönlich ist das narrativ. Sie verbinden es, an einem Produkt, einem Projekt zu arbeiten und gleichzeitig Dienstleister zu sein und Kreativarbeit zu machen. Das finde ich extrem spannend.