Teil des Projektes News
Warum New Work all das ist, was wir gerade in der Arbeitswelt erleben – und dennoch viel mehr als das.
Für die einen ist es ein geflügeltes Wort geworden, für die anderen ein lästiges Buzzword: New Work. Über die Zukunft der Arbeit müssen wir nicht mehr reden, sie hat längst begonnen. In der „neuen Arbeitswelt“ steht vieles Kopf: die Art, wie wir führen, wie wir zusammenarbeiten, wie wir Karriere definieren. Der Begriff „New Work“ impliziert: diese Art des Arbeitens ist neu, es ist anders. Zumindest ist sie neuerdings im Mainstream angekommen. Ein Gastbeitrag von Nicole Thurn (www.newworkstories.com).
1. New Work bedeutet Obstkorb, Sneakers und Kickertisch.
Die CEOs erfolgreicher Tech-Startups haben es vorgemacht: Sneakers haben die Krawatte abgelöst. Sie sind das neue Statussymbol der modernen Arbeitswelt. „Arbeit macht Spaß“, wollen die Treter, im Idealfall einzigartig und tausende Euro wert, suggerieren. Auch der obligatorische Kickertisch, Tischtennistisch und der kostenlose Obstkorb etablieren sich nach und nach nicht nur in Startups und Kreativ-Agenturen, sondern auch in Corporates. Das ist natürlich fein – wenn denn auch die Unternehmenskultur entsprechend ist. Auf Du und Du mit dem Vorgesetzten sein hilft hier natürlich.
Wenn das Ganze aber zu aufgesetzt als „Maßnahme“ eingeführt wird, wird es rasch peinlich und sorgt für unschöne Nebeneffekte. Organisationen sind ein lebendes System, sie verändern sich sowieso. Eine Organisation besteht aus vernetzten Menschen, die miteinander in Beziehungen stehen – formell, aber vor allem auch informell. Sind diese Beziehungen blockiert, von unterschwelligen Konflikten belastet oder von missverständlicher Kommunikation beschwert, hilft nur eines: aufräumen, aussprechen, in ehrliche Interaktion kommen. Der Obstkorb kann es leider nicht richten.
2. New Work bedeutet, agil zu arbeiten.
Agiles Arbeiten ist im schnelllebigen Wettlauf um die Märkte kaum mehr wegzudenken, es hat in vielen Unternehmen zumindest in Pilotprojekten Einzug gehalten. Darunter verstanden wird grob häufig das Ausprobieren und Experimentieren, das Wendigsein als Unternehmen, die positive Fehlerkultur. Auf Prozessebene schaut man sich Prinzipien aus der Startup-Welt wie das Lean Management ab. Oder führt die Scrum-Methode ein, arbeitet in interdisziplinären Teams an Projekten, bringt das Team in Standup-Meetings auf den neuesten Stand und zieht in Retrospektiven Bilanz. Allerdings gibt es zwischen Führungskräften und Mitarbeitern Wahrnehmungsunterschiede in punkto Agilem Arbeiten, wie zumindest eine Studie von Korn Ferry zur deutschen produzierenden Industrie aus dem Jahr 2018 zeigt.
Damals wendeten laut eigenen Angaben 38,9 Prozent der Führungskräfte agile Methoden an – aber nur 17,5 Prozent der Mitarbeiter. Natürlich sind nicht alle Mitarbeiter gleichermaßen von Agilität betroffen. Aber offenbar stimmt hier einiges nicht. 54,5 Prozent der Führungskräfte sagten, die Belegschaft werde zu agilen Arbeitsweisen ermutigt. Bei den Mitarbeitern meinten das allerdings nur 25,8 Prozent. Möglich, dass die Führungskräfte den Widerstand der Mitarbeiter unterschätzen? Agil ist – wenn zu einseitig und zahlengetrieben in die Unternehmenskultur hineingepfropft – nichts weiter als ein Auswuchs des guten alten Taylorismus. Denn auch Taylor hat die Arbeitsprozesse bei Ford ganz auf Effizienz, Wendigkeit und Schnelligkeit getrimmt. Das agile Manifest aus der Softwarebranche, auf dem das agile Arbeiten jedoch in Wahrheit gründet, stellt Beziehungen und Menschen („Individuen und Interaktionen“) über Prozesse und Werkzeuge. Das wäre dann auch ziemlich „new“.
3. New Work bedeutet mobiles Arbeiten.
Die Assoziation mit dem Thema ist in meiner Wahrnehmung stark mit diesem Bild verbunden: raus aus dem Corporate Hamsterrad, den Laptop auf dem Schoß, den Latte Macchiatto Caramel am Bistrotisch der US-amerikanischen Coffeeshopkette, die Verheißung der Freiheit oder die Möglichkeit, im Home Office nebenher noch die Familie zu vereinbaren. Beides kann fies sein und ist für manche Menschen undenkbar: sie werden ineffizient, surfen auf Facebook rum oder waschen lieber Wäsche, als den Kunden anzurufen. Mobiles Arbeiten ist eine tolle Erfindung und kann das Leben erleichtern: der Weisheit letzter Schluss ist sie dennoch nicht.
4. New Work bedeutet, das Mindset der Mitarbeiter zu verändern.
Das halte ich für einen Irrglauben. Das Mindset eines anderen Menschen kann man nicht verändern – man kann höchstens sein Verhalten mit Tools, Incentives und mit guter alter Angstmache manipulieren. Der Ruf nach mehr Belohnung und Widerstände sind dann die Folge. Vielmehr ist Veränderung erst möglich, wenn ein Zuviel an Druck und Stress weggenommen wird, man durchatmen kann und man sich die eigentlichen Fragen stellen kann: Warum mache ich das hier alles und wozu? Wie will ich arbeiten? Wie können wir gemeinsam besser arbeiten – nicht nur schneller und effizienter, sondern auch passender?
Erst wenn der Kontext Vertrauen schafft, Sicherheit gibt und Fehler verzeiht, können Menschen sich „hinauswagen“, um Neues auszuprobieren. Ideen und Vorschläge müssen dabei aber immer von denen kommen dürfen, die sich mit der Materie/dem Projekt/dem Produkt tagtäglich befassen. New Work bedeutet also, den Menschen als Individuum und als gestaltendes Wesen wahrzunehmen. Bewusstmachen und reflektieren ist dazu die Vorstufe für Veränderung. Vor allem ist es aber das vielzitierte Vorleben der Führung, das durchaus motivieren kann.
Der Mensch lernt eben am schnellsten über Nachahmung. Das bedeutet: wer als Führungskraft oder als Teammitglied an sich selbst arbeitet, arbeitet auch am Team. Es geht um einen Akt der Selbstbefreiung – aus konventionellem Denken, aus dem „Haben wir immer schon so gemacht“, aus der eigenen allzu bequem eingerichteten Komfortzone. Das befreit auch ein stückweit die anderen im eigenen Umfeld.
5. New Work bedeutet, dass Roboter uns ersetzen werden.
2017 warnte Alibaba-Gründer Jack Ma vor dem Roboter als CEO: er würde in 30 Jahren Realität sein, weil er rationaler und künstlich intelligenter agieren würde. Eine Horrorvorstellung für all jene, die nicht nur in Zahlen denken wollen. Tatsächlich bewirkt der digitale Wandel mit seinen alles durchsetzenden Algorithmen und Daten, dass wir über unser Menschsein nachdenken müssen. Was bedeutet: der Mensch wird in seiner Einzigartigkeit wertvoller. Menschliche Fähigkeiten wie Vertrauenswürdigkeit, ein offenes Kommunikationsverhalten, Selbstreflexionsfähigkeit sowie Intuition und Mitgefühl werden zu den neuen harten Währungen, die im Wettbewerb entscheiden. Denn künftig ist man nur gemeinsam mit anderen erfolgreich. Und: Algorithmen zu basteln wird ohnehin reine Routine so gut wie aller Unternehmen sein. Dass Arbeitgeber mit besten Arbeitsbedingungen um die besten Mitarbeiter buhlen, wird auch nicht so rasch vorbei sein.
6. New Work bedeutet, vier Tage die Woche zu arbeiten.
Ob vier Tage pro Woche oder fünf Stunden am Tag: Meldungen über Pioniere der verkürzten Arbeitszeit sind derzeit im Kommen. Das ist meines Erachtens ein wichtiger Bestandteil des Neuen Arbeitens: das Leben und die Bedürfnisse der Mitarbeiter in den Fokus zu rücken (ohne natürlich auf die Kunden zu vergessen), um so ihre Potenziale freizulegen. Und wer arbeitet nicht gern weniger Stunden bei gleichbleibendem Gehalt? (Gut, nicht alle, muss man doch in der Regel dieselbe Leistung erbringen wie davor). Lediglich die 30 – oder 25-Stunden-Woche zu diskutieren, greift zu kurz. Auch das muss zur bestehenden Unternehmenskultur und dem Großteil der Mitarbeiter passen. Sie kann aber der Hebel sein, um sich als Arbeitgeber – bei Vollzeitgehalt – attraktiver zu positionieren, wie es etwa Lasse Rheingans, Chef der Agentur Digital Enablers mit der 25-Stunden-Woche getan hat. Geld und Status auszutauschen gegen mehr Zeit für sich, für eigene Projekte, für Ehrenamt und Familie, das hat für viele heute einen größeren Wert – nicht nur für die junge Generation Z.
7. New Work bedeutet, Querdenker einzustellen.
Die Rufe werden lauter, dass Unternehmen händeringend Querdenker einstellen sollten, um Innovation voranzutreiben. Das wird leider schiefgehen, denn soviele Querdenker, wie die Unternehmen bräuchten, gibt es auf diesem Planeten vermutlich (noch) nicht – sind doch die meisten von uns in einem recht rigiden Bildungssystem sozialisiert worden. Die gute Nachricht: jeder kann – mehr oder weniger – zum Querdenker werden, wenn er die Lust dazu entwickelt. Oder zumindest zum Umdenker. Die Frage ist nur, ob man in Unternehmen auf längere Sicht gern gesehen ist, als jemand, der hinterfragt, idealistisch ist, auf dem ersten Blick unmachbare oder zumindest unbequeme Wege vorschlägt. Die Frage an die Unternehmen ist also: Seid ihr tatsächlich bereit für Querdenker? Dann ist die gute Nachricht: ihr habt sie schon im Unternehmen. Ihr müsst ihnen nur zuhören. Garantiert. Dazu gehört, den Menschen im Sinne von Laloux mehr als Ganzes wahrzunehmen: mit seinen menschlichen Fähigkeiten, seinen Interessen und Potenzialen, seiner eigenen Meinung und seinen Bedenken.
Ein bisschen neu, aber nicht genug.
All die erwähnten Beispiele sind spannende Aspekte und Ausprägungen einer „neuen“ Arbeitswelt. Doch „New Work“ sind sie deswegen noch nicht. In der Tradition des Begründers Frithjof Bergmann ist mit dem Begriff eine Gesellschaftsutopie gemeint, die hinterfragt, wie wir arbeiten wollen. Bergmann konzipierte eine Wirtschafts-Utopie, in der Menschen in Selbstversorgung leben, einem Brotjob nachgehen und zusätzlich etwas für ihre Sinnerfüllung tun. „Was willst du wirklich, wirklich“ gehört zur Kernfrage, um auf den den Sinn des eigenen Tuns zu kommen. New Work soll eine bewusste Haltung zur eigenen Arbeit ermöglichen. Erst wenn Menschen sich als Gestalter sehen und sich bewusst werden, was, wie, warum und wofür sie arbeiten, wird die intrinsische Motivation sichtbar.
Auch Frederic Laloux gibt mit „Reinventing Organisations“ eine ähnliche Richtung vor: „purpose-driven“ Organisations könnten die neue evolutionäre Stufe des Wirtschaftens bilden, so Laloux. Mit dem Unternehmenssinn im Kern, orientiert am Menschen und mit dem Ziel einer Verbesserung der Gesellschaft. Wenn wir den Aspekt der Vernetzung im Sinne von Collaboration hinzunehmen – vernetzte Systeme kollaborieren mit vernetzten Systemen, um gemeinsam Mehrwert zu schaffen – könnte tatsächlich etwas radikal Neues entstehen.
„New Work“ ist also mehr als hübsche Büros, mehr als effiziente Arbeitsmethoden. „New Work“ ist ein transformativer Bewusstwerdungsprozess. Es bedeutet eine neue Haltung zur Arbeit, zu Führung, zu Mitarbeitern, zum Menschsein an sich. Und vor allem, im Unternehmen zuallerst einmal die wesentlichen Fragen zu stellen: Wie sehen wir uns selbst? Als eigenverantwortliche Gestalter oder als Ausführende? Warum und wofür arbeiten wir? Wie wollen wir arbeiten? Wieviel ist uns Arbeit wert? Was bedeutet Erfolg: reine Profitmaximierung oder glückliche Kunden und glückliche Mitarbeiter? Wer kann und will die Aufgabe/Rolle übernehmen? Was können und wollen wir zum Besseren für das Unternehmen, die Kunden, die Gesellschaft bewirken?
Wenn wir die oben genannten modernen Aspekte der Arbeitswelt mit diesen grundlegenden Fragen verknüpfen, kommt etwas heraus, was wirklich „new“ wäre: ein menschliches Wirtschaftsystem mit hoffentlich positiveren Werten, das Profit und ökosoziale Ziele zusammenbringt. Es beginnt allerdings nicht bei Organigrammen, Strukturen und Prozessen – sondern bei jedem Einzelnen selbst.