CREATIVE REGION: Kulturhauptstadt Bad Ischl 2024: Wie habt ihr die Jury im Rahmen eurer Bewerbung überzeugt?
Stefan Heinisch: Die Jury, die Europäische Kommission, hat genaue Kriterien, wie sie den Titel „Kulturhauptstadt Europas „vergibt. Das ist z. B. eine Langzeitstrategie, also auch über 2024 hinaus, das künstlerische Konzept, die künstlerische Vision, aber auch so Dinge wie Umsetzungsfähigkeit. Sie horchen ganz stark hinein: „Können die das auch in der Region, in der Stadt, was sie uns da versprechen?“
Diese Kriterien zu beantworten, haben sicher die Mitbewerber auch geschafft. Bei uns war es von Anfang an, eine wirkliche Bottom-up-Bewerbung, die die freien Szene der Region formuliert hat. Viele Kulturhauptstädte, auch in anderen Ländern, werden von der Politik, von oben organisiert. Durch die Tatsache, dass es die bisher kleinste Kulturhauptstadt Europas ist, mit gut 14.000 Einwohnern und vor allem mit einer sehr starken alpinen Prägung, die erste inneralpine, könnte man jetzt sagen, es hat einfach auch genau in die Zeit gepasst.
CREATIVE REGION: Welche Chance ergeben sich dadurch für die Region?
Stefan Heinisch: Die direkte Chance ist, wie es auch in der Bewerbung steht, mehr Sichtbarkeit, mehr Relevanz zu schaffen, für Kultur und Kreativwirtschaft, für die Künstlerinnen und Künstler, die auch die Bewerbung mitformuliert haben. Das Salzkammergut ist primär eine von außen betrachtete Tourismusregion. Es ist die älteste Industrieregion Europas mit der Salzgewinnung, die aber jetzt im täglichen Leben nicht mehr so präsent ist.
Und die Vernetzung der Künstlerinnen und Künstler, Kultur und Kreativwirtschaft. Es ist die große Vision, dass durch diesen Prozess das Salzkammergut ein offener, zeitgenössischer, pulsierender Kulturraum Europas wird. Das ist eigentlich die große Chance. Sekundär liegen die Chancen ganz stark in einer Veränderung des Tourismusmodells – des regionalen – und auch in sekundären Themen wie Mobilitätskonzepte.
CREATIVE REGION: Wie macht sich der Trender „City Quitters” (Verlagerung des Arbeits- und Lebensmittelpunkts in ländliche Regionen) bemerkbar?
Patricia Plasser: Ich denke schon, dass das spürbar ist. Es ist jetzt nicht übertrieben arg, aber man lernt immer wieder Personen kennen, denen genau das passiert ist oder die sich genau dafür entscheiden. Bei mir oder auch bei Kollegen und Kolleginnen, ist es so, dass sie oft nach dem Studium wieder zurückkommen nach einer gewissen Zeit, nachdem sie in größeren Städten im Job Erfahrungen gesammelt haben usw. Auch Leute, die von anderswo herkommen. Man merkt einfach, dass diese Leute oft der Wunsch einer anderen Lebensart und -weise bewegt. Vielleicht auch speziell im kreativen Bereich. Man erwartet sich mehr Freiraum und weniger Druck und weniger Eindrücke, die in der Stadt gegeben sind.
CREATIVE REGION: Welchen Impact hat die aktive Kreativ- und Innovationsszene auf das Salzkammergut?
Martin Hollinetz: Aus meiner Sicht – auch wie ihr schon gesagt habt – ist das Salzkammergut ursprünglich industriell geprägt, touristisch geprägt, trotzdem eingebettet mitten zwischen Linz und Salzburg, in gut erreichbarer Lage. Das führt aus meiner Sicht – das erlebe ich immer wieder – zu einer hohen Attraktivität, einerseits landschaftlich, aber auch von den Möglichkeiten sich zu bewegen, sich zu vernetzen, zu verknüpfen. Ich kenne kaum eine Region in Oberösterreich, die auch innerhalb so gut vernetzt und abgestimmt ist. Das ist nicht immer nur positiv, es geht manches manchmal auch langsamer, aber in Summe sieht man, dass die Region dadurch flexibel ist. Nicht nur im Touristischen, sondern auch im Industriellen und Kreativwirtschaftlichen kann sie ihre Potenziale voll ausschöpfen.
CREATIVE REGION: Das co-werk ist ein neu eröffneter Coworkingspace in Gmunden. Wie kam es dazu und wo seht ihr noch Entwicklungspotenzial?
Patricia Plasser: Ursprünglich war es so, dass du das gemeinsam mit Ahammer Klaus und mit Markus Pollhammer entwickelt hast. Ich war dann Mieterin der ersten Stunde quasi. Ich bin ein wenig mitgewachsen mit dem ganzen Projekt. Wie ich mich damals selbstständig gemacht habe, hat es so etwas in dieser Art nicht gegeben. Es war zu diesem Zeitpunkt für mich oder in meiner persönlichen Wahrnehmung deutlich schwieriger. I
ch glaube schon, dass es für viele auch ein Sprungbrett sein kann, hier anzufangen und sich von hier aus weiterzuentwickeln und größer zu werden. Wir merken auch, am Anfang waren ein paar Mieter und Mieterinnen der ersten Stunde dabei, dann war eine Flaute. Wir merken, man muss es kommunizieren, dass es das überhaupt gibt.
Inzwischen ist es so, dass wir sehr viele Anfragen haben, es spricht sich einfach herum. Es hat einen guten Ruf. Und es gibt tatsächlich Überlegungen, ob man auch die Fläche erweitert und somit auch das Angebot. Davon würden wir alle sehr profitieren, auch die, die schon hier sind natürlich.
CREATIVE REGION: Warum hast du, Martin, 2010 begonnen, OTELOS in ganz Oberösterreich anzusiedeln?
Martin Hollinetz: Da war ich noch im Regionalmanagement, das heißt für Kommunales und Wirtschaft zuständig. Damals hat es die ersten großen Bewegungen gegeben, dass vor allem junge Menschen gesagt haben: „Wir gehen in die Ballungsräume.“ Das war ein richtiger Shift damals. Und die Idee war tatsächlich community-orientierte Plätze zu schaffen, die auf kommunaler Ebene verankert sind und an denen man sich nicht nur begegnet, sondern auch etwas ausprobieren kann, wo vor allem soziale, aber auch technische Innovationen stattfinden können, Inspirationen geteilt, Wissen ausgetauscht werden kann, ohne noch einen bestimmten Zweck zu verfolgen.
Das ist der große Unterschied zu einem Coworking-Space, wo sehr zielorientiert und wirtschaftlich orientiert agiert wird. Die OTELOS machen nur Passives und fungieren dadurch stark als Sensoren – wenn man es so will –, um mitzubekommen, was braucht es im Ort und wie kann man die Ressourcen bereitstellen, damit etwas entsteht. Eben Dinge wie, das Entstehen eines Coworking-Space oder einer neuen Food-Coop. Die haben am Anfang oft wenig Raum und Kristallisationspunkt und müssen sich in einem Gasthaus treffen oder sonst wo.
Wir wollten so etwas wie ein Bürgerrecht verankern, das einen Platz bietet, wo man eine Idee postulieren kann, sich mit anderen austauschen kann und etwas ausprobieren kann. Im Salzkammergut gibt es fünf Standorte, das ist die höchste Dichte und ich hoffe natürlich – im Zuge der Kulturhauptstadt –, dass wir eine Rolle finden über die OTELOS, über die wir uns gut einbringen können. Die OTELOS ticken alle ehrenamtlich, in der Genossenschaft ist es so ähnliche aber auf wirtschaftlicher Ebene. Auch dort kann man sich erproben, ausprobieren und auf verschiedenen Ebenen vertiefen.
Der Beweggrund war tatsächlich gar nicht so sehr zu verhindern, dass junge Leute weggehen, sondern, dass jene, die zurückkommen, leicht anknüpfen können. Also, dass es so etwas wie eine einfach zugängliche Homebase gibt für Leute, die sich wieder fürs Land interessieren. Da merken wir jetzt in der letzten Zeit tut sich da tatsächlich etwas. Vielleicht nicht nur durch die Coronageschichte, die gerade aufpoppt.
Wir hatten alleine in den letzten drei Monaten sicher an die 100 Anfragen: Was kann man im OTELO tun? Wie kann man sich beteiligen? Wir ziehen wieder zurück, weil die Eltern hier leben! Viele solche Dinge, also auch die wirtschaftliche Verlagerung war ein wenig unsere Idee – etwas zu haben, das passiv da ist, gut organisiert und einfach tickt aber ganz flexibel auf neue Strömungen und Entwicklungen reagieren kann.
CREATIVE REGION: Welche Programmhighlights können wir im Rahmen der Kulturhauptstadt 2024 erwarten?
Stefan Heinisch: Das Konzept – das siegreiche Bewerberkonzept – stammt aus der regionalen Kreativszene. Von fünf Personen bin ich der einzige, der Tourismus und Regionalentwicklung repräsentiert. Die übrigen vier kommen eben direkt aus der Szene, das heißt, es ist mitgestaltet worden oder überhaupt initiiert worden. Es gibt viele Möglichkeiten dann noch ab dem Jahr 2021 durch weitere Calls, die speziell auch in die regionale Szene gehen, aber auch europaweit ausgeschrieben werden, direkt daran mitzuwirken und teilzuhaben.
Die 23 Gemeinden: Das ist sicher die Besonderheit, weil es noch nie eine so stark ländlich geprägte Kulturhauptstadt Europas gegeben hat, noch nie eine inneralpine. Unser Versprechen an die Gemeinden ist auch, dass egal wie groß oder klein, in jeder Gemeinde ein Format stattfindet. Welches wird natürlich noch definiert, aber das sich auch die Besonderheit, die Region sollen nicht im Nachhinein eine Peripherie für die Kulturhauptstadt sein, sondern es war von Anfang an eine regionale Bewerbung. Das wissen wir aus den Gesprächen, das ist wirklich einzigartig und natürlich eine große Verantwortung. Europa schaut dann auch aufs Salzkammergut.
Zur Programmgestaltung kann man sagen, dass es vier Programmlinien geben wird: „Macht der Tradition“, „Kraft der Gegenkultur“ – man sieht schon, da sind Spannungsverhältnisse dazwischen – „Auswirkungen des Tourismus“ – was macht der Tourismus mit der Region, mit den Leuten, mit den Menschen – und „Durst auf Rückzug“. Letzteres wäre eine Art Neuinterpretation der guten alten Sommerfrische.
Da wird es einige spannende Dinge geben. „Hallstatt disappears“ zum Beispiel, gemeinsam mit Ars Electronica Solutions, Digitalkunst im Weltkulturerbe, thematisiert die Disneyfication im Tourismus, die jetzt Covid-bedingt auch wieder eine andere Form hat. Es wird sehr viel im Wasser stattfinden, sehr viel im Naturraum. Wir wollen ja green captial of culture sein. Und es wird vielleicht auch unangenehme Themen, zeitgeschichtliche, wie den Nationalsozialismus und das Salzkammergut als Rückzugsort der Nazi, gleichzeitig war es das Bollwerk der Partisanen in den letzten Kriegstagen. Es wird geführte Wanderungen im Toten Gebirge geben, wo man diese Stätten noch einmal erleben kann. Also auch die dunklen Seiten der Region – auch die der Habsburgerzeit, weil auch da war nicht immer alles so schön.
CREATIVE REGION: Welche Tipps habt ihr für Kreativschaffende, die abseits der Metropolen leben und mit überregionalen KundInnen arbeiten möchten?
Patricia Plasser: Grundsätzlich, glaube ich, ist es so: Egal wo man lebt, man muss die bestmögliche Arbeit machen, die man schaffen kann. Zum anderen muss man sich in der Region schon aktiver darum bemühen, ein Netzwerk zu knüpfen, ein gutes Netzwerk zu knüpfen. Da hilft natürlich die Vergangenheit, wenn man vorher in einer größeren Stadt war und das Netzwerk ein bisschen mitnehmen kann, und so immer wieder den Anknüpfungspunkt hat.
Sich gegenseitig zu unterstützen. Karrieren von anderen zu fördern, bringt auch die eigene Karriere weiter. Nicht immer nur auf sich selbst zu schauen. Wir sind hier keineswegs in der sozialen Isolation oder so, wir sind einfach total gut vernetzt. Wie du vorher erklärt hast: Zwischen Linz und Salzburg. Das Netzwerk ist vorhanden und über die sozialen Medien und digitale Wege sehe ich eigentlich wenig Probleme.